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Archiv-Artikel

Alle für einen? Jeder für sich!

LEDER UND DEGEN Die ARD lässt ab Samstag „Die Musketiere“ antreten (21.45 Uhr). Der Sender BBC hat aus dem alten Stoff eine neue TV-Serie gezaubert. Es geht um Gentrifizierung, Immobilienhaie und eine keusche Liebe

VON JENS MÜLLER

Sherlock Holmes in allen Ehren. Robin Hood sowieso. Letzteren ausgenommen dürfte es aber wirklich keine anderen populären Heldenfiguren geben, an denen sich die Filmschaffenden so intensiv abgearbeitet hätten wie an den „drei Musketieren“. Im Jahr 1921 wurden sie erstmals verfilmt, parallel in ihrer französischen Heimat und in Hollywood. Seither ist kein Jahrzehnt vergangen, in dem es nicht jeweils mehrere Adaptionen von Alexandre Dumas’ Schmökern für Kino und Fernsehen gegeben hätte. Von John Wayne über Tom und Jerry und das 1980er Jahre Brat Pack mit Charlie Sheen und Kiefer Sutherland bis zu Gérard Depardieu hat sich als Musketier versucht, wer Rang und Namen hat. Unser bester Mann in Hollywood, Christoph Waltz, war in der ersten 3-D-Version 2011 eine naheliegende Besetzung für Kardinal Richelieu, den intriganten Gegenspieler von Athos, Porthos, Aramis und D’Artagnan.

Der böse Richelieu

In dieser neuesten – in Tschechien gedrehten zehnteiligen, von der ARD in fünf Doppelfolgen gezeigten – BBC-TV-Serie wird offenbar, dass Richelieu (Peter Capaldi) ein Bruder im Geiste Al Swearengens aus „Deadwood“ ist. Wie dieser lässt Richelieu bereits in der ersten Folge einen heimtückischen Mord ausführen – um dann mit den Musketieren eine Zweckgemeinschaft einzugehen, immer wieder bereit, all die staatstragenden Meuchelmorde zu begehen, für die sich die Musketiere zu fein sind.

Wie lautet noch ihr Motto? Aramis (Santiago Cabrera): „Jeder für sich allein!“ (Folge 1: Freunde und Feinde). Stets einen flotten, ironischen Spruch auf den Lippen, werden die Musketiere hier nicht neu erfunden – anders als etwa Sherlock Holmes in den Versionen mit Robert Downey jr. oder Benedict Cumberbatch. Wie üblich ist ihr bevorzugtes Werkzeug gerade nicht die Muskete, sondern der Degen. Das erklärt sich daraus, dass sie ihre Raufereien regelmäßig mit einer gegnerischen Übermacht austragen und das umständliche Nachladen des Vorderladers da nicht praktikabel wäre. Und aus dem Genre „Mantel-und-Degen-Film“. Apropos Mantel, er dient hier auch der Übersichtlichkeit: Die Guten tragen blaue, die Bösen rote Mäntel.

Die BBC-Musketiere erleben auch ganz neue Abenteuer, die Dumas nie geschrieben hat, aber geschrieben haben könnte – oder auch nicht. So bekommen sie es mit Themen von erstaunlich aktueller Relevanz zu tun, etwa mit Gentrifizierung, Immobilienspekulation, Entmietung heruntergekommener Häuser mit unsauberen Methoden (Folge 5: Die Heimkehr). Das Motiv des in der Thronfolge übergangenen Zwillingsbruders des Königs war in der hier gezeigten Variante noch nicht zu sehen (Folge 6: Kampf um den Thron). Das Serienformat lässt genug Zeit, immer mal wieder die Herkunft der Musketiere zu ergründen: Athos (Tom Burke) erweist sich für die anderen als von unerwartet hoher Geburt, Porthos (Howard Charles) als der Sohn einer Sklavin (Folge 3: Schatten der Vergangenheit) – wie Alexandre Dumas’ in Haiti geborener Vater, der als Befehlshaber über die französische Alpenarmee einer von Napoleons wichtigsten Generälen wurde. Tom Reiss hat über ihn das Buch „Der schwarze General“ geschrieben.

Entzückend platonisch

Die neuen, von einem Autorenteam um Adrian Hodges („Primeval“) in schwarzbraunes Leder gesteckten Musketiere stehen ihren Ahnen, den Technicolor-Helden in Strumpfhosen, näher als dem Personal von „Game of Thrones“ oder, brandneu bei Netflix, „Marco Polo“. Das so erfolgversprechende „Game of Thrones“-Rezept aus expliziter Gewalt und explizitem Sex – hier hat es keine Verwendung gefunden. Die Romanze zwischen dem Nachwuchsmusketier D’Artagnan (Luke Pasqualino) und seiner Vermieterin (Tamla Kari) bleibt sechs Folgen lang entzückend platonisch. Diese Musketiere sind ganz bei sich, und weil Weihnachten ist, darf hinzugefügt werden: im besten Sinne.

Wer das Haar in den Suppe finden will: Früher – als nicht alles besser war, das Fernsehen schon gar nicht – haben ARD und ZDF ihre Abenteuer-Mehrteiler zum Fest noch selbst gedreht.