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Archiv-Artikel

1.000 Jahre Dschungelcamp für Thilo Sarrazin

WEIHNACHTSKONZERT Acht Jahre war sie weg, im Frühling kam sie wieder: die Terrorgruppe, bekannt für ironischen, sarkastischen, bösartigen und bei Bedarf auch mal platten Punk

„Manche Bands glauben, sie müssten politische Aufsätze in Liedtextform verfassen. Und die vermeintlich schlaueren Bands verstecken sich hinter vertrackten Metaphern und Formulierungen“

ARCHI ALERT

VON THOMAS WINKLER

Warum, Archi, warum nur? Warum die alte Geschichte noch mal aufwärmen? Warum tut sich einer ein Comeback an, der die Comebacks von anderen immer erbärmlich fand? Warum so werden, wie man niemals sein wollte? Warum bloß immer noch Punk?

„Wahrscheinlich“, antwortet Archi Alert per E-Mail, „sehe ich es als Herausforderung.“ Der Sänger der Terrorgruppe war mit seinem Ausstieg 2005 für die Auflösung der Kreuzberger Punkband verantwortlich. Im Dezember 2013 schließlich war die langjährige Überzeugungsarbeit von Gitarrist Johnny Bottrop, der anderen zentralen Figur der Terrorgruppe, erfolgreich: Genau 20 Jahre nach der Gründung der Terrorgruppe wurde die Reunion verkündet, eine Institution des deutschen Punkrock existierte wieder. Aber warum? „Zum einen interessiert es mich, ob man eine Punkband mit gealterten Protagonisten zeitgeistig relevant machen kann“, teilt der mittlerweile 49-jährige Alert mit, „zum anderen, wie mein Körper den Spaß mitmacht. Momentan sehe ich uns auf einem ganz guten Weg zu einem befriedigenden Ergebnis.“

Die Zwischenbilanz, die sich nach einem Jahr Terrorgruppe 2.0 ziehen lässt: „Die meisten Fans haben es gefeiert“, sagt der Sänger, „und viele meinten, es wäre, als ob wir nie weg gewesen wären.“ Tatsächlich scheint es einen Bedarf für die Terrorgruppe zu geben. Die Nische, die die Band in ihrer ersten Inkarnation erfolgreich ausgefüllt hatte, war immer noch unbesetzt. Zwar herrscht an simplen Schrammelpunk-Bands hierzulande kein Mangel und sind zudem in letzter Zeit auch einige spannende Bands wie Messer, Trümmer oder Turbostaat entstanden, aber die waren viel zu ernsthaft, um die terrorgruppentypische Abgehmusik mit einem Humor zwischen Anarchie und Geschmacklosigkeit vergessen machen zu können.

Bloß kein Pathos

„So ziemlich 98 Prozent der Musik-Projekte, die sich heute Punk schimpfen, kann ich nicht hören, finde ich furchtbar langweilig“, meint Alert. „Entweder Bands glauben, sie müssten politische Aufsätze in Liedtextform verfassen, oder es geht nur noch um den größtmöglichen Pathos in Kombination mit Bierkonsum. Und die vermeintlich schlaueren Bands verstecken sich hinter vertrackten Metaphern und Formulierungen, um bloß nicht greifbar zu werden.“

Vertrackt, das war die Terrorgruppe nun wirklich nie. Greifbar dafür immer, meist auch ziemlich handfest. Vor allem aber ironisch, sarkastisch, bösartig und bei Bedarf auch mal platt. Oder, wie es Archi Alert formuliert: „Was uns heute wie früher relevant macht, ist unser Know-how, was das Thema Punk betrifft.“ Und zum Punk gehörte, das konnte allzu leicht in Vergessenheit geraten, eben auch bodenloser Humor. Die erste EP, die nach der Wiedervereinigung der Band erschien, setzte diese Tradition nahtlos fort: In den vier Stücken von „Inzest im Familiengrab“ würdigt die Terrorgruppe magersüchtige Mädchen, sorgt sich um den Alkoholmissbrauch von Berlintouristen in der Kastanienallee und fordert „1.000 Jahre Dschungelcamp für Thilo Sarrazin“. In den dazugehörigen Videoclips wird gern gekotzt, reichlich Dosenbier verteilt ,und Archi Alert darf eine weitere alte Leidenschaft wiederaufleben lassen: Cross-Dressing.

Wichtiger war aber immer schon, was auf der Bühne stattfand. Im Wikipedia-Beitrag über die Band steht nicht umsonst der schöne Satz: „Die Terrorgruppe war bekannt für ihre guten Konzertfähigkeiten.“ Dabei ist es, das versichern Augenzeugen, auch nach acht Jahren Pause geblieben. Kein Wunder, es kommen bei Konzerten vornehmlich die altbekannten Hits wie „Sabine“, die Hymne auf die „dumme Koksschlampe“, oder „Mein Skateboard ist wichtiger als Deutschland“ zur Aufführung. Einige der gut abgehangenen Gassenhauer, wie „Keine Airbags für die CSU“, haben im Laufe der Jahre – Alexander Dobrindt sei Dank – sogar noch an Brisanz gewonnen. Folgerichtig war nicht nur der erste Auftritt der Reunions-Besetzung mit Alert und Bottrop, dem alten Bassisten Zip Schlitzer und dem neuen Schlagzeuger Kid Katze im Mai 2014 im SO36 ausverkauft.

Alert hatte in den terrorlosen Jahren vor allem hinter den Kulissen gearbeitet, war Manager und Produzent für Bands wie K.I.Z. oder The Toten Crackhuren im Kofferraum. Bottrop dagegen hatte geradezu verzweifelt am Modell Punkrockband festgehalten und – wenn er nicht gerade mit seiner neuen Band The Bottrops beschäftigt war – seinen Kumpel jahrelang bearbeitet, das alte Erfolgsmodell doch wieder aufleben zu lassen.

Damit war Bottrop zwar erfolgreich, aber Alert darf sich nun alte Interviewzitate vorhalten lassen, in denen er die enttäuschende Wiederkehr von Helden wie der Sex Pistols als „traurig“ bezeichnete. „Unser Alter lässt sich nicht kaschieren“, gibt er nun zu, „aber wir können den Leuten den Eindruck vermitteln, dass das Alter der Band egal ist.“ Das gelingt ihnen überraschend überzeugend.

■ „Atomtest Weihnachtsfest“ mit Terrorgruppe, The Toten Crackhuren im Kofferraum, Radio Havanna, Lulu und die Einhornfarm: 20. Dezember, 19 Uhr, C-Club, Tempelhof