: Kann ich mich mir noch leisten?
■ 36, geboren in Wien, ist Magistra der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Seit 2012 studiert sie am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig literarisches Schreiben. Zuletzt erschien ein Auszug aus ihrer Prosaserie „Kurze Interviews mit freakigen Frauen“ in der Anthologie „Tippgemeinschaft 2014“.
VON KATHERIN BRYLA
Was für eine erhellende Erkenntnis, was für eine grandiose Möglichkeit der Selbstverwirklichung. Nach all dem Kopfzerbrechen: Werde ich einen Verlag finden? Brauche ich eine Agentin? Wird die Zusammenarbeit mit der Lektorin beim Verlag fruchtbar? Wird das Cover und das Korrektorat so, dass ich mich nicht für das Erscheinen meines Buches zu schämen brauche? Wird der Verlag es gut bewerben? Werde ich davon leben können? Wie werde ich davon leben können? Wie?
All diese Fragen: Pillepalle.
Ich verlege mich einfach selbst. Nein, Moment. Amazon verlegt mich. Um die Kosten des Buchdrucks brauch ich mich nicht zu kümmern. Amazon verlegt mich digital, international, global: mit dem Amazon-Kindle-Self-Publishing-Programm. Und dabei lässt mir Amazon alle Freiheiten. Na ja, fast. Frei jedenfalls nach der Amazon-Devise: Work Hard, Have Fun, Make History. Wie die Picker, Eacher, Stower und Packer in den Lagerhallen des multinationalen Konzerns, kann ich jetzt im Geiste von Jeff Bezos meinen täglichen Marathon starten. Und das ohne Verdi. Ich ganz allein.
Nehmen wir an, das Buch gibt es schon. Das habe ich in den letzten vier Jahren unentgeltlich geschrieben und überarbeitet. Ich habe also das Buch, für das ich keinen Vorschuss bekommen habe, anderweitig finanzieren müssen, habe arbeiten müssen, um eben nebenbei dieses Buch zu schreiben. Und auch für das nächste Buch bekomme ich keinen Vorschuss, denn ich verlege mein Buch bei Amazon und da gibt es keine Vorschüsse.
Der zweite Schritt zur Autonomie: Ich mache auch mein Lektorat selbst. Gleich hinterher kommt das Korrektorat. Als meine eigene Autorenfirma kann ich mir an der Stelle schon drei Rechnungen schreiben.
Als nächstes werde ich Graphikerin, designe mein Cover und presse meine 300 Seiten in das richtige Format. Hierbei hilft mir Amazon, indem es mir erklärt, wie ich in Word einen Seitenumbruch zustande bringe. Seitenumbrüche, so scheint es, sind das Um und Auf. Die vierte Rechnung: Graphik/Web Design. Auch in Zukunft muss ich mein Buch betreuen – fortlaufende Rechnungen.
Als meine eigene Agentin verhandle ich den Vertrag mit Amazon. Wie viel soll mein Buch kosten? Wie soll ich meine Einnahmen versteuern? Und sollte Amazon nicht zahlen oder den Vertrag brechen – wie gehe ich rechtlich vor? Zu allererst ist wichtig: Der Vertrag ist vertraulich. So wie bei den Pickern und Packern in den Amazonhallen – Amazon-Mitarbeitern weltweit ist es vertraglich verboten, mit ihrer Familie, ihren Freunden oder Journalisten über ihre Arbeit zu reden – sieht auch mein Vertrag höchste Geheimhaltung vor: „Confidentiality. You will not, without our express, prior written permission: (a) issue any press release or make any other public disclosures regarding this Agreement or its terms …“
Fünfte Rechnung also: Agentin, dazu sechste: Steuer- und Rechtsberaterin.
Zum Schluss die entscheidende Frage: Wer soll mein digitales Buch kaufen. Und warum? Klar, würde mein Buch bei einer Amazon-Suche aufscheinen, gäbe ich meinen Namen ein. Aber wer kennt schon meinen Namen? Ich muss mir also eine Community aufbauen, am besten eine virtuelle, denn in meiner realen Community besitzt niemand einen Kindle-eBookreader. Dafür verbringe ich Stunden in sozialen Netzwerken, AutorInnen- und Textkritikforen. Siebte Rechnung: Promotion.
Aus einer Preisliste von Amazon kann ich autonom den Preis für mein digitales Buch bestimmen und entscheiden, ob ich gerne 35 oder 70 Prozent des Preises erhalten möchte. 70 Prozent – liest sich verlockend, angesichts der zehn in der Verlagswelt üblichen Prozent. Doch wählt man die Royalty Option liegt der maximale Preis, den man für sein Buch verlangen kann bei EUR 9,70. Und sollte irgendwo im Netz ein PDF meines Buches von Amazon gefunden werden, das sich dort kostenlos runterladen lässt, behält sich Amazon vor, ab diesem Zeitpunkt auch mein Kindle-eBook kostenlos der Welt zur Verfügung zu stellen.
Besser also, ich recherchiere selbst, ob auch niemand mein Buch online stellt, ohne dass ich dafür dann rechtmäßig entlohnt werde.
Siebte Rechnung: Netz-Rechercheurin.
Jetzt bin ich wirklich richtig autonom! Autorin, Lektorin, Korrektorin, Graphik- und Webdesignerin, Agentin, Steuer- und Rechtsberaterin, Promoterin und Netz-Rechercheurin.
Nur: Ich weiß nicht, ich weiß wirklich nicht, ob ich mich mir leisten kann.