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Archiv-Artikel

Der Text wird Bild

BUCHSTABEN Die junge Fotokünstlerin Natalie Czech dekonstruiert das Vertrauen in den gedruckten Text. Ihre Werke sind im Kunstverein Langenhagen zu sehen

Seit das Medium Fotografie sein einstiges Markenzeichen, die dokumentarische Authentizität, eingebüßt hat, gibt es einen medienimmanenten Diskurs, die Bildgläubigkeit in Frage zu stellen. Unter jungen Fotografen ist der Bezug auf diesen Diskurs zu einem schon fast ermüdenden Gestus geronnen, doch die Berliner Fotokünstlerin Natalie Czech geht noch einen Schritt weiter: Sie dekonstruiert auch unseren Glauben an den gedruckten Text.

So nimmt Czech, die derzeit im Kunstverein Langenhagen ausstellt, einen Ausschnitt aus der Doppelseite eines amerikanischen Magazins – Foto (über den Falz gerückt), Überschrift, Text, alles wie gewohnt – und reproduziert ihn fotografisch auf gut einen Quadratmeter Bildfläche. Ein opulenter Sonnenuntergang in glühenden, übernatürlichen Rosatönen überwältigt den Betrachter, doch Czech bearbeitet das vorgefundene Material weiter: Teile des Textes sind in der Farbigkeit des Fotos gefangen und somit ausgeblendet.

Liest man das übrig gebliebene Textfragment, erscheint eine Gedichtzeile des amerikanischen Lyrikers E. E. Cunnings: „In sunlight over and overing. A once upon a newspaper“. Diese Zeile erschließt nun, als kommentierender Subtext, rückwirkend das Foto – denn die surrealen Himmelsverfärbungen sind auf einen oberirdischen Nukleartest zurückzuführen.

In jüngsten, siebenteiligen Produktionsarbeiten für den Kunstverein hat Natalie Czech den Prozess umgedreht. Ausgangspunkt war das gleichnamige Figurengedicht „A small bouquet“ von Frank O’Hara aus dem Jahr 1950, das mit Buchstabenfolgen, in verschiedenen Richtungen lesbar, einen kleinen Blumenstrauß in einer Schale nachzeichnet.

Czech bat sieben Autoren, dieses Kalligramm in einen Fließtext von einer Seite Umfang einzubetten. Die Texte hat Czech mit einer von ihr entwickelten digitalen Typografie aus unterschiedlich abgenutzten Lettern in eine Buchseite gesetzt und diese wiederum fotografisch vergrößert.

Um das vollkommen in den Texten aufgegangene Kalligramm wieder sichtbar zu machen, werden auf den Fotoabzügen die vorgegebenen Buchstabenfolgen der Schale und der Stiele mit Ölkreiden handwerklich angemarkert, die Blüten rot umkreist. Leichte Abweichungen der Buchstabenfolgen im jeweiligen Textfluss lassen nun sieben feine Variationen des Kalligramms erscheinen.

Neben dem technischen Perfektionismus und der ästhetischen Qualität ist es vor allem die intellektuell zugespitzte Neuinterpretation der Kunstform der Montage, die in den Arbeiten Czechs beeindruckt. Das vorgefundene Material wird von ihr exakt aufeinander bezogen und interpretiert, Worte evozieren Bilder und umgekehrt.

Selbst die Hängung im Kunstverein ist eine subtile Arbeit in situ: Ein Pfeiler und die Anordnung über Eck unterteilen den Betrachtungsfluss der sieben Bestandteile von „A small bouquet“. Die Bezogenheit wird gestört – und damit umso deutlicher aufgezeigt. BETTINA MARIA BROSOWSKY

Natalie Czech, „Hidden Poems“: bis 9. Oktober, Kunstverein Langenhagen