: Manriques Visionen
Die Spalten im Erdreich, der Feigenbaum in Manriques Wohnzimmer, der unermüdlich eruptierende Geysir oder der 14 Meter hohe Turm des „Denkmals an die Fruchtbarkeit“ – Manriques Skulpturen verführen zu psychologische Spekulationen
Das Museum und die dort angegliederte Fundacion César Manrique (Taro de Tahiche, 35509 Teguise; Tel. 00 34 9 28 84 31 38, Fax 84 34 63; www.fcmanrique.corg) liegt an der Straße zwischen dem Hauptort Arrecife und Tahiche. Es ist von November bis Juni täglich von 10 bis 15 Uhr, werktags bis 18 Uhr geöffnet. In den Sommermonaten von 10 bis 19 Uhr. Das berühmteste, von Manrique konzipierte Hotel ist das fünfsternige Gran Melia Salinas, „Ein Kunstwerk“ mit 300 Zimmern, sowie kleinen Villen mit eigenem Pool und Butler. Die Zimmer mit großzügigen Balkonen sind geschickt angeordnet und gewähren trotz baulicher Dichte eine gewisse Privatsphäre, der Innenhof ist ein exotischer Garten, in der Nähe des wirklichen Meeres liegt die künstliche Strandlandschaft mit ihren wohltemperierten Poolanlagen, Palmen und Liegestühlen. Service, Buffet und Gesamtkonzept richten sich mit Doppelzimmern ab 140 Euro eher an die Wohlhabenden der Gesellschaft als an den studierenden Nachwuchs, doch gibt es in Flautezeiten mitunter interessante Angebote. www. solmelia.com, Tel. 90 21 4 44 44 Ein anderes Hotelkunstwerk ist das vom „Stararchitekten Don Andrés Pinero“ geschaffene Gran Melia Volcán Lanzerote mit über 200 Zimmern und 20 Villen in Form von „inselstypischen Häusern“, dem so genannten Royal Service, 11 Bars und Restaurants, fünf Schwimmbädern und Konferenzräumen für über 500 Personen. Als beste Reisezeit gilt der Winter mit seinen milden bis sommerlichen Temperaturen.
VON HANS W. KORFMANN
Die Legende erzählt, dass es ein einsamer Feigenbaum war, der sich dem nackten und kalten Lavafluss entrang und der die Aufmerksamkeit César Manriques auf sich zog. Denn César Manriques pflegte eine gewisse Vorliebe für einsame Vertikalen in der Landschaft, möglichst hoch aufragende Geraden. Also trat er näher und sah, dass der Baum aus einer fast kreisrunden Höhle wuchs, einer sogenannten „Luftblase“ im einst glühenden Lavastrom. Die nächste Zeit verbrachte der aus New York heimgekehrte Künstler vor allem damit, sich in den fünf unterirdischen Gewölben, die sich in der Nähe des Feigenbaumes auftaten, möglichst spektakulär einzurichten.
Heute ist der einstige Wohnsitz des Künstlers ein Museum von großem touristischem Interesse. Hin und wieder aber mischt sich auch der eine oder andere Spanier unter die Besucher, manchmal auch ein alter Mann, der seinen 90. Geburtstag schon vor einer ganzen Weile gefeiert hat. Er lächelt über die vielen aufgeregten Fragen, Kunst und Architektur haben ihn nie wirklich beschäftigt. Carlos Manrique ist ein bodenständiger Mensch, am meisten wundert ihn noch immer die kleine Quelle, die im Garten des Museums aus einem Stein sprudelt. Angetrieben von einer unsichtbaren Wasserpumpe. „Wasser!“, murmelt er, und erinnert sich: „Das war hier immer das wichtigste: Wasser! Wenn es regnete, hatten wir welches, und wenn nicht,“ zwinkert er belustigt, „dann rochen wir alle ein wenig!“ Carlos hat der Wirbel um seinen berühmten Bruder César nie mitgerissen.
Bettina Bork ist da leidenschaftlicher. Schließlich kam sie einst nur deshalb nach Tahite, um beim Künstler in die Lehre zu gehen. „César Manrique hatte eine starke Ausstrahlung“, berichtet die ehemalige Praktikantin beim Spaziergang durch die unterirdischen Gemächer. Carlos würde sich gern auf dem Sofa ausruhen, auf dem er früher oft gesessen hat. Aber die Sitzgelegenheit im ehemaligen Wohnzimmer ist abgesperrt. Also folgt der alte Mann dem Tross durch das Labyrinth des unterirdischen Palastes bis vor die swimmingpoolgroße, von tropischen Pflanzen umgebene Badewanne im Hof der Künstlerresidenz. Verträumt blicken die Museumsbesucher ins blau schimmernde Wasser, sie sehen aus, als wäre ihnen Meister Manrique gerade leibhaftig erschienen – schwebend in seiner Badewanne, umgeben von in weiße Gewänder gekleideten Kammerzofen. „Und das hier war das Schlafzimmer“, erzählt Bettina Bork, „Dort drüben stand das Bett. Bis hier hin durfte man, und hier, da musste man die Schuhe ausziehen!“
Der Meister war streng. Mit den vielen Hippies, die damals die Insel entdeckten und die sich alle für Künstler hielten, hatte er nichts zu tun. Er unterhielt lieber gute Beziehungen zur örtlichen Politik, insbesondere zu José Ramírez, dem sogenannten „Präsidenten von Lanzerote“, der ihm lukrative Aufträge vermittelte. Manriques berühmte Naturkunstwerke waren finanziell abgesicherte Auftragsarbeiten und verlangten wenig heldenhafte Courage. Aber er hatte die Idee, aus den gegebenen Naturschönheiten der Insel Kunstwerke zu machen. Kunstwerke aus Lava, Luftblasen und Lagunen. „Die Natur hat mir großzügig gegeben, was andere weder sahen noch verstanden“, sagte er.
Längst werden auch die Hotels, die Manrique entwarf, von den Managern als Kunst verkauft. Tatsächlich schuf der Künstler in den Innenhöfen der Touristenunterkünfte mit der tatkräftigen Unterstützung des fast tropischen Klimas blühende Dschungellandschaften mit Lianen und Schlingpflanzen. Wasserfälle stürzen in Kaskaden vom 4. Stock in künstliche Seelandschaften, hölzerne Stege führen über Seerosenteiche. Und damit die Gäste der noblen Häuser auch schwimmen können, hat der Visionär inmitten des schroffen Lavagesteins künstliche, türkisfarbene Gestade mit weißem Sand anlegen lassen.
Berühmt aber ist Manrique für seine sieben „Naturkunstwerke“. Am beeindruckendsten ist „Jameos del Agua“, die größte Luftblase Lanzerotes. Durch enge Steintreppen schreiten die Menschen ins Erdinnere, bis sie plötzlich am Rand eines unterirdischen Sees stehen, in denen schneeweiße, lichtscheue Krebse ein merkwürdiges Leben unter Wasser und unter Tage führen. „Jameos del Agua“ ist eine wundersame Verkettung unterirdischer Grotten, die einst im glühenden Lavafluss entstand. Als viertausend Jahre später César Manrique des Weges kam, war das Loch im Lavafluss eine Müllhalde, der See eine Kloake. Heute glitzert er wie ein Kristall, Schlingpflanzen, Kakteen und Yuccapalmen wuchern am Ufer. Partys hat es hier gegeben, von denen man bis heute spricht und die alle im künstlichen Pool des Künstlers endeten, einem Becken mit dem typisch manriquisch-karibischen Gestade und einer kitischig-eleganten Palme. Wieder sehen die Besucher César am künstlichen Strand seines Planschbeckens liegen, während nackte Nixen sich im Wasser tummeln. Trocken, schroff und unwirtlich ist die Landschaft von Lanzerote, aber es muss süß gewesen sein, das Leben des César Manrique.
Auch in den toten Aschebergen von Timanfaya – dort, wo an einigen Stellen die Krume der Erde noch immer so heiß ist, dass nichts wächst auf ihr, und wo Neil Armstrong, der Mondfahrer, bemerkt haben soll: „Genau wie auf dem Mond!“ –, auch dort hat Manrique Beweise seiner kreativen Potenz hinterlassen. Umgeben von einer Landschaft rostbrauner Vulkankegel, grauer Aschedünen und schwarzer Lavafelder hat er auf der Höhe der „Montanas del Fuego“ ein Restaurant gebaut. Hier geht es geradewegs zur Hölle, zu einem in 3.000 Metern Tiefe brodelndem Becken flüssiger Lava. Mit bloßer Hand kann man die Hitze des Bodens spüren, über einem ummauerten Erdloch schmoren auf einem Rost über dem ewigen Feuer Hähnchenschenkel, Steaks und Würste. Das spektakulärste aber sind die Ejakulationen der künstlichen Geysire, Fontänen, die in die Höhe spritzen, sobald man etwas Wasser in eine der Röhren kippt, die Manrique der Beschaulichkeit zuliebe in die Erde eingelassen hat.
Seien es die Spalten im Erdreich, der Feigenbaum in Manriques Wohnzimmer, der die Decke durchbricht, der unermüdlich eruptierende Geysir oder der 14 Meter hohe Turm des „Denkmals an die Fruchtbarkeit“: Immer wieder öffnen seine Skulpturen Raum für psychologische Spekulationen. Wie ein heimlicher Leitfaden überziehen die phallischen Symbole Manriques das vulkanische Gestein Lanzerotes bis zum Kaktusgarten. Schon an der Straße ragt eine Kaktusfigur gut acht Meter in die Höhe, im Garten selbst recken sich, wo immer das Auge auch Zuflucht sucht, Kakteen in den Himmel, 10.000 stachlige Reminiszenzen, die Frauen ehrfürchtig flüstern lassen, während Männer kleinlaut an den Fingernägeln kauen. Und in der Mitte des kreisrunden Gartens erhebt sich zum Finale eine großartige Erektion aus Lavagestein. Allerdings schreiben die Reiseführer diese Manifestation der Männlichkeit nicht Manrique, sondern der Natur zu. Die imposanten Steine seien zum Vorschein gekommen, als unschuldige Bauern Vulkanasche aus der Grube schaufelten, um sie mit ihren Kamelen auf die Felder zu tragen. Nachdem die Bauern alle Asche herausgekratzt hatten, sei in der Mitte ein steinerner Phallus zurückgeblieben, woraufhin die Bauern das Loch wieder mit Müll zugeschüttet hätten. Da kam César Manrique. Womöglich ragte noch eine winzige Spitze der Männlichkeit aus der Mülldeponie – ein Anblick, der Manrique das Herz gebrochen haben muss.
Der Kaktusgarten von Guatizza ist eine Hommage an alles, was sich dem Himmel entgegenstreckt, und das letzte Werk des großen Manrique. Danach kommt seine letzte Ruhestätte auf dem stillen Kirchhof von Haria. Ein schlichter, einfacher Stein ohne viele Worte auf einem fast bescheiden kleinen Grab. Und doch erkennen die Pilger das Grab Manriques bereits von Ferne. Denn gewaltig bäumt sich über seinen Gebeinen der Kaktus auf. Und manchmal, so erzählen die Männer abends in der Bar, soll in der Stille des Ortes das helle Kichern von Frauen zu hören sein, die am Grab mit dem imposanten Gewächs stehen …