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Archiv-Artikel

Es ist Zeit, Widerstand zu leisten

betr.: „Streik macht Ferien“ u. a.

Unglaublich, was hier in diesem Land unter Duldung der Massen möglich ist. 80.000.000 Menschen, davon gut 4.000 verärgerte Lokführer, und es erhebt sich nirgends auch nur eine laute Stimme, oder gar ein Aufschrei, wenn Grundrechte wie das Recht auf Streik als (nahezu einziges verbliebenes) Mittel zum Widerstand – juristisch ohne Frage zweifelhaft, aber mit dankbarer Duldung von Politik und Wirtschaft – einfach so beschnitten werden können.

Wir haben in diesem Land bereits seit langer Zeit kein garantiertes Recht auf Demonstrations- bzw. Versammlungsfreiheit mehr. Effektive, also auf ein konkretes Ergebnis hin ausgerichtete Massenversammlungen und Demonstrationen sind nämlich nicht ohne Grund genehmigungspflichtig. Wer sich in diesem Land auch nur ein Fünkchen um das schert, was um ihn herum geschieht, der bekommt nahezu täglich genug neue Beweise dafür, dass Massenproteste immer dann unterbunden oder an kaum effektive Schauplätze verlagert werden, sobald das bestehende, den Grund für die Proteste liefernde System (auch seine Regierung) sich in seinem Fortbestand bedroht sieht.

Ich selbst bin kein Lokführer, sondern Altenpfleger. Gäbe es eine ähnlich hohe Solidarität unter Pflegefachkräften, ich ließe mir nicht einen Tag das Recht zu demonstrieren oder zu streiken nehmen. Im Artikel 20 des Grundgesetzes heißt es im Bezug auf unsere (angebliche) freiheitliche Grundordnung: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“ Es ist Zeit, Widerstand zu leisten. Laut. Kraftvoll. Effektiv.

NORMAN SIEGEL, Bielefeld

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