Generalangriff auf Streikrecht

betr.: „Streik macht Ferien“ u. a.

Aber, aber, meine Herrschaften. Wer wird denn da weinen. Die Lokführer streiken. Ja und? So haben sie (wir) es doch gewollt. Nur die DGB-Gewerkschaften, allen voran die Transnet, singen doch immer noch das Hohelied des „Modells Deutschland“ und das des Kollektivismus. Die lange geschätzte Besonderheit des „Modells Deutschland“, neben den Eigentümerinteressen fast gleichrangig die Belange der Beschäftigten zu respektieren, ist doch längst, auch von der Bahn AG, aufgekündigt worden. Seit Jahren werden die Unternehmen, auch die Bahn AG, diversifiziert, umstrukturiert, outgesourct und zu „Profitcentern“ umgemodelt. „Shareholder-Value“ und „Individualisierung“, das sind die Zauberworte. Und die Transnet und ihr Vorsitzender, Norbert Hansen, unterstützen Herrn Mehdorn in seiner Politik auch noch.

Nun kommt da eine kleine „Gewerkschaft“ daher und macht ernst mit der so hochgelobten Individualisierung. Sie fordert die individuelle Behandlung der Interessen einer kleinen Gruppe von Arbeitnehmern, die nun mal an Schlüsselpositionen des Unternehmens Bahn AG sitzen. Man müsse doch auf die individuellen Belange der einzelnen (Unternehmen) Rücksicht nehmen, so tönt es allüberall aus den Medien, wenn es mal wieder um Kollektivverhandlung geht. Aber die sturen DGB-Gewerkschaften glauben noch an die Notwendigkeit der Kollektivverträge. Dabei wollen doch alle in unserem Land, wenn man den Medien glauben darf, eine Individualisierung der Arbeitswelt.

Marburger Bund und Cockpit haben es vorgemacht. Es wird auch weitgehend toleriert. Aber das sind ja auch Beschäftigte in verantwortungsvollen Jobs. Die mit Friedhofsgärtnern und Müllwerkern in einer Solidargemeinschaft zu subsumieren, ist ja auch etwas viel verlangt. Aber nun Lokomotivführer. Das haben wir (soweit männlich) doch alle werden wollen. Daher ist es nur verständlich, wenn alle, aber auch alle, die in unserer Republik etwas zu sagen haben (zumindest es glauben), mit einem Aufschrei der Empörung reagieren.

Gott sei Dank gibt es noch ordentliche Richter und Gerichte, die die Dinge wieder ins Lot bringen. Ein königlich-bayrisches Arbeitsgericht hat entschieden: Das Streikrecht für Lokomotivführer ist abgeschafft! Grundgesetz hin, Grundgesetz her, hier herrscht Ordnung. Nein, ich fürchte, die GDL und die Lokomotivführer in ihr haben, egal was am Ende materiell für sie dabei herauskommt, einiges mehr geschafft. Immer mehr Gruppen werden die Solidargemeinschaft der Einheitsgewerkschaft verlassen und ihr Heil in der Durchsetzung von Partikularinteressen suchen.

Das Streikrecht der Arbeitnehmer wird, wie so viele Grundrechte, von den Herrschenden eingeschränkt, wenn nicht sogar faktisch abgeschafft, durch Richtersprüche à la Nürnberg. Einen Richter zu finden, der es als staatsgefährdend ansieht, weil er nicht rechtzeitig mit dem Zug zur Mutti nach Hause kommt, das wird sich immer machen lassen. Die DGB-Gewerkschaften, allen voran Ver.di, werden weiter glauben, dass in diesen Zeiten Größe an sich ein Machtfaktor sei. Das wäre aber nur dann richtig, wenn das „Modell Deutschland“ noch Gültigkeit besitzen würde. Aber das ist längst von den politisch-ökonomisch Herrschenden abgeschafft worden.

Sie haben scheinbar auch noch nicht realisiert, dass hier Sozialgeschichte gegen sie geschrieben wird. Diese eigentlich unbedeutende Auseinandersetzung ist von Mehdorn, seiner neuen Walküre der Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Beziehungen und den politischen Eliten zum Generalangriff auf das Streikrecht in unserem Land hochstilisiert worden, und der DGB und seine Gewerkschaften merken es nicht einmal. Aber eines hat die GDL noch nicht geschafft: Norbert Hansen und seine Transnet davon zu überzeugen, dass Mehdorn und Genossin resp. Genossen Gegner/in und nicht Sozial„partner“/in sind. REINHARD GOTTORF, Reinheim