: Trucker brauchen keine Windeln
Der ADAC hat den Rasthof Tornesch in Schleswig-Holstein als „mangelhaft“ bewertet. Aus der Sicht einer vierköpfigen Familie. Doch Tornesch ist auf LKW-Fahrer eingerichtet. Die haben ganz andere Bedürfnisse: Ruhe zum Beispiel. Die Betreiberin hat die Kritik an ihrem Rasthof hart getroffen
VON STEFANIE HELBIG
Auf dem Platz ist es leise. Nur ein paar LKW stehen auf dem Asphalt, nichts bewegt sich. Ein 50-jähriger, beleibter Mann kramt in der Fahrerkabine, holt ein Brot heraus und klettert wieder herunter. Dann zerreißt er mit einem Türschlag die Stille.
Familien in Wohnwagen, Kinder, die über den Parkplatz tollen und kreischen, Rentnergruppen, die sich aus Bussen bugsieren – das alles passiert woanders. 90 Prozent der Menschen, die in Tornesch Rast machen, sind Brummi-Fahrer, erklärt mir Pächterin Margareta Hinz. Die 29-Jährige leitet den Hof zusammen mit ihrem Lebensgefährten Michael Westphal. Der Rasthof liegt eine Stunde vor der Nordsee. So nah vorm Ziel macht kaum jemand Rast. Hier hat man sich auf die Brummis eingerichtet.
Ein neuer LKW kommt an, es macht pffff und tsssss, er tuckert, fährt vor, zurück, schlägt etwas mehr nach links ein, fährt vor, und steht.Die Tür öffnet sich und Kay Voigtländer springt herunter. Seit er 18 ist fährt er LKW, jetzt ist er 42.
Die Frage, die alle hier beschäftigt: Brauchen LKW-Fahrer Windeln? Nein. Und doch war das eines der Kriterien, mit denen der ADAC Tornesch zum schlechtesten Rasthof im Test erklärt hat.
Er hat ihn aus der Sicht einer vierköpfigen Familie getestet. „Bei uns hat noch nie jemand nach Windeln gefragt“, empört sich Margareta Hinz.
Ob ich nicht die 1,60 zu ihm hochklettern und mir mal alles anschauen will, lädt Kay mich ein. Das Ding ist dreimal so hoch wie ich. Ich ziehe mich die drei Stufen hoch und bin überrascht. Das Holz im Inneren ist gemasert wie in einem Mercedes.
„Man hat hier alles, was man so braucht“, sagt er und zeigt mir seine kleine Kaffeemaschine, die er unter dem Sitz hervorziehen kann. Den Kühlschrank daneben. Und die zwei Betten hinter den Sitzen. Die Kleiderschränke unter dem Dach. Und den Esstisch auf der Beifahrerseite.
„Wenn man den ganzen Tag auf der Fahrerseite gesessen hat, dann will man ja wenigstens woanders essen“. Ein Haus in zwei Metern Höhe. Hier oben scheint man über allem zu sein.
Das Porno-Angebot, das im Zeitungsregal beworben wird, oder die LKW-Zeitschriften, dick wie Bücher, zeigen, dass es sich hier um Brummi-Fahrer-Revier handelt. Kay fährt nur im Umkreis von 300 Kilometern. „Meistens kann ich zum Glück zu Hause schlafen.“ Sein Kollege Bernd hat dieses Glück nicht. Er fährt jeden Tag neun Stunden lang, dazu kommen noch Auf- und Abladen. „Wenn man dann auf den Rasthof kommt macht man gar nichts mehr.“
Der dicke Mann lehnt an der Seite seines LKW, die Hände in den Hosentaschen, und beobachtet die Welt. Von sich aus sagt Bernd nichts. Aber er antwortet. Das ist gut, viele andere haben nur gebrummt oder stumm abgewinkt.
Die ADAC-Kritik war vernichtend: Keine Fußgängerüberwege, keine Kinderspielplätze. Wickeltisch in der Behindertentoilette, kein frisches Obst. Ergebnis: eine glatte Fünf. „Das richtet sich doch gar nicht nach den Bedürfnissen unserer Kunden. Hätte jemals einer nach Obst gefragt, ich würde ja welches hinlegen“, sagt Margareta Hinz.
Die Brummi-Fahrer verstehen das nicht. „Hier ist es sauber, das Essen ist gut, die Leute sind super, was will ich denn mehr?“, sagt einer. Diese Bereiche haben beim Test auch gut abgeschnitten. „Das sind die Dinge, die unsere Kunden brauchen und die in unserer Macht liegen“, sagt die Raststättenleiterin Hinz.
Sie hat das Gelände nur von Aral gepachtet. „Ich darf hier gar keine Zebrastreifen aufmalen oder Gehwege bauen.“ Sie ist diejenige, die unter der Kritik am meisten leidet.
Dass es sich um einen LKW-Rasthof handelt hat der ADAC nicht erwähnt, als er die Ergebnisse veröffentlichte. Sonntag kamen die Ergebnisse. „Ab Montagmorgen stand die Presse vor der Tür und wollte sehen, wie furchtbar es hier ist.“
Was sie am meisten verletzt hat: Fotos in einer Zeitung, die Müll und Dreck zeigen. Untertitel: „Rasthof Tornesch, der schlechteste Rasthof Deutschlands.“ Doch im Bild-Hintergrund sind Berge zu sehen. „Das war ein Foto von einem italienischen Rasthof.“
Vom ADAC hieß es hinterher, es täte ihnen leid, das wollten sie nicht. Doch das half auch nicht mehr. Die Presse kam weiterhin, die Mitarbeiter mussten Fragen nach ihrem komischen Arbeitsplatz ertragen.
Ihre Kunden hätten nur die Köpfe geschüttelt, sagt Margareta Hinz. Aus Solidarität haben sie den Vorrat an „Autohof Tornesch“-Stickern aufgekauft und sie an ihren LKW durch die Welt gefahren.
Trucker Bernd beobachtet den Parkplatz, er ist jetzt menschenleer. Alle schlafen. Nein, LKW-Fahrer brauchen keine Windeln und keine Spielplätze. LKW-Fahrer brauchen Ruhe.