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Archiv-Artikel

Das dritte Geschlecht

FILM Susanna Salonen erzählt mit „Patong Girl“ die Geschichte einer konfliktreichen Jugendliebe in einem thailändischen Urlaubsparadies

„Patong Girl“ zeigt auch Fais Thailand, ein „ganz normales“, bürgerliches Thailand

VON CAROLIN WEIDNER

Schaut man nicht so recht hin, könnte man fast meinen, Familie Schröder sei gar nicht allzu weit gereist – im Hotelzimmer auf der thailändischen Insel Phuket (genauer: in Patong) schmücken schönste Alpenpanoramen die Wände. Kühe, schneebedeckte Gipfel. Das macht Heimatgefühle. Na ja. Wirklich lauschige Stimmung möchte zwischen den Familienmitgliedern nicht aufkommen. In Susanna Salonens „Patong Girl“ wird man nämlich direkt in den letzten gemeinsamen Weihnachtsurlaub dieser Familie geschubst, Nesthäkchen Felix (Max Mauff) soll demnächst sein Abi machen und dann – ja, das weiß er auch noch nicht richtig. Brenzlige Zeiten: die Mutti-Klammer wird plötzlich enger („Du würdest ihn am liebsten in Gießharz gießen, damit er nicht mehr wächst!“), elterliche Zukunftswünsche kollidieren mit Träumen von der großen weiten Welt, die Ehe von Annegret (Victoria Trauttmansdorff) und Ulrich (Uwe Preuss) gleicht einem Nagelbrett.

Im Grunde ist das schon schlimm genug. Da kann auch die beruhigende, angenehm säuselnde Musik nichts ändern, die allerorts zu hören ist, oder die flauschigen Weihnachtsmann-Mützen, die Familie Schröder beim Weihnachtsessen von bauchnabelfreien Bedienungen im schwülen Patong über die Köpfe gestülpt werden. Als Felix dann aber auch noch Fai (Aisawanya Areyawattana) kennenlernt, droht das Projekt „Heiligabend am Strand“ vollends in die Hose zu gehen.

Denn während Felix sein Glück kaum fassen kann, frotzelt Annegret: „Normalerweise würde eine wie sie einen wie ihn doch noch nicht mal mit dem Arsch angucken.“ Die Lage scheint klar: Fai ist eine Prostituierte. Und Felix ein Dummkopf. Davon ist Annegret überzeugt. Die Erläuterungen, die ihr ein übergesiedelter Brite zur Lage zwischen Männern und Frauen in Thailand macht, sind da auch nicht unbedingt zuträglich. Er referiert: „Gucken Sie sich doch die Typen an. Alle hier gestrandet. Mein Kumpel wurde von seiner Thai-Frau vergiftet. Jetzt hat sie das Haus, die Autos, den Club. Die Typen verrotten hier im verdammten Paradies. Die verschimmeln richtig. In diesem Klima schimmelt alles.“

Annegret begreift. Und trägt die schlimme Kunde auch gleich zu Felix weiter: „Du musst irgendwann anfangen die Zusammenhänge zu erkennen. Schnallst du das langsam?“, raunzt es. Aber was soll Felix schon groß erkennen? Er ist achtzehn, die Stunden mit Fai sind fantastisch. „Patong Girl“ würde allerdings eine entscheidende Ebene fehlen, klammerte man einen wesentlichen Umstand aus.

Dieser schleicht sich schon recht früh in den Bildlauf ein und wird von der aufmerksamen Annegret astrein vorgetragen. Nachdem sich Familie Schröder nämlich mit zwei Kathoey hat ablichten lassen, liest Annegret von einem Flyer vor: „Drei Geschlechter gibt’s hier, Männer, Frauen und Kathoey oder Ladyboys. Obwohl es Teil der Kultur ist, wird dieses dritte Geschlecht nicht offiziell anerkannt, weil es nicht zusammenkommt mit dem Bild des modernen, westlich orientierten Thailands. Total interessant, oder?“ Felix zuckt da nur mit den Achseln. Bis Fai ihm ein Geständnis macht.

Salonens „Patong Girl“ ist ein mutiger Film, weil er sich an ein Thema wagt, das durchaus Schiffbruch-Potential hat. Die Regisseurin, die mit Mika Kaurismäki („Cha Cha Cha“) und Tom Tykwer („Lola rennt“) zusammengearbeitet hat und eigentlich eher durch ihre Dokumentarfilme wie „A Tokyo Fusebox“ von 1999 (über eine Club-Hostess in einem Unterhaltungsviertel Tokios) bekannt ist, traut sich in ihrem ersten Spielfilm von einer Welt zu erzählen, die durch zahlreiche exportierte Klischees unangenehm vertraut wirkt. Um die Wiedergabe jener Stereotype kommt sie natürlich nicht völlig herum. Es gibt Bargirls und seltsame Typen, die an ihren Tresen sitzen. Aber „Patong Girl“ zeigt auch Fais Thailand, ein „ganz normales“, bürgerliches Thailand, fernab von Strandbars und Kathoey-Varieté. Und dass sich diese beiden Welten hier durch eine doch sehr unschuldige Liebesgeschichte begegnen, ist eigentlich sehr schön.

■ „Patong Girl“: ab 25. 12. im Babylon-Mitte, Moviemento und Bundesplatz Kino