: Schwaben raus!
Schwaben haben Geld. Schwaben kaufen Häuser in Berlin. Schwaben werden gehasst. Und Schwaben werden als zahlungskräftige Klientel entdeckt. Nur dass man ihnen ihre Kinderwagen anzündet, ist dann doch zu viel. Der Bericht aus Berlin
von Hans-Peter Schütz
Jetzt fehlt nur noch eins: dass es der Berliner Polizei gelingt, einen der Brandstifter zu erwischen, die dieses Jahr in Berlin bereits über 500 Autos, darunter reichlich Daimlers, angezündet haben, und der Täter dann behauptet, er wolle diese „schwäbischen Scheißkisten“ einfach nicht länger in den Straßen der Hauptstadt sehen. Dann wird der Schwabenhass endgültig hell aufflammen.
Wesentlich hasserfüllter in Richtung Schwaben, als es bereits seit Langem ist, wurde das Klima in Berlin dieser Tage durch einen Zeitungsausträger gemacht, der zwar keine Autos angesteckt hat, aber elf Kinderwagen in den Treppenhäusern des Bezirks Prenzlauer Berg. Sein angebliches Motiv: „Hass auf Schwaben“.
Die Polizei schweigt sich aus, die Berliner und die Medien greifen den Schwabenhass begeistert auf. Das Feindbild wird gepflegt. Keiner fragt mehr nach, ob der Kinderwagenzündler nicht schlicht gaga ist, erst recht nicht, ob es sich bei den Autoansteckern nicht vielleicht doch um „politische motivierte“ Aktivisten aus dem linksradikalen Berliner Lager handelt, die in einem brennenden Mercedes ein Symbol des Klassenkampfes sehen. Oder im derzeitigen Berliner Landtagswahlkampf vielleicht der CDU ein wenig Wahlhilfe in ihrem hoffnungslosen Kampf gegen Klaus Wowereit spendieren wollen.
Die Polizei hat kein Mittel gegen den Schwabenhass
Die Polizei zuckt nur rat- und hilflos mit den Schultern. Einige brave Berliner Bürger wissen es dagegen genau: Das können nur die Schwaben sein. Daher hängen auch bereits wieder die Schilder, die man im Stadtviertel Prenzlauer Berg und in der Schickimicki-Straße des Bezirks, in der Kastanienallee, seit Langem kennt: „Schwaben raus!“, „Haut ab, ihr Porno-Hippie-Schwaben“, „Was wollt ihr hier – Stuttgart 605 km“. Das kennen die Berliner Schwaben bereits zur Genüge. Jetzt ist in der Kollwitzstraße, fast ein Edelbezirk im wiedervereinten Berlin, sogar ein Plakat aufgetaucht, auf dem steht: „Tötet Schwaben.“
Berlins Regierender Bürgermeister Wowereit hält tapfer dagegen. „Ich freue mich jedenfalls über die Schwaben in der Stadt; sie sind besonders beliebt und eine Bereicherung, aber keine Bedrohung.“
Aber es wird mit den Schwaben gerne Entsetzen getrieben. So stänkert der Taxifahrer, der jemanden nach Prenzlauer Berg bringen soll, schon mal, dass sich dort nur noch die „Kreativ-Fuzzis“ breitmachten, er nur ausnahmsweise dahin fahre, weil er den Bezirk „hasst“.
Gerne treiben die Medien ihre schwabenfeindlichen Scherze mit den Berlinern. So kam dieses Jahr ein „Extrablatt“ auf den Markt und ins Internet, das die Berliner mit der Schlagzeile aufscheuchte: „Berlin im Schock. Schwabe wird neuer Bürgermeister.“ Zu rechnen sei jetzt mit einem „gnadenlosen Sparkurs“ unter dem neuen Bürgermeister Matthias Brägele. Außerdem sei das ein ganz schräger Vogel, einer von jenen Typen, die sich in den Siebzigerjahren nach Westberlin verdrückt hätten, und der sich seines „fremdländischen Akzents nur wenig schäme“ und eben ein „typischer Taugenichts von einem Wessi“ sei. Optisch untermalt das „Extrablatt“ seine Hetzstory mit der Zeichnung eines offensichtlich volltrunkenen Schwaben, der dem Berliner Bären ein Viertele Rotwein einschenken will und zu ihm sagt: „Kopf hoch, Bärle, Dich kriaget mr au wieder auf d'Fiaß!“
Hütet euch vor dem pickligen gemeinen Schwaben
Ob das die Berliner überhaupt lesen und verstehen und ins Hochdeutsche übersetzen können, steht dahin. Diesen Zweifel gibt es auf einer Internetseite mit dem Titel „Schwaben in Berlin und woran Du sie erkennst“ nicht. Dort stehen Sätze wie „Der gemeine Schwabe in Berlin leidet unter unreiner Haut, insbesondere auch im Gesicht.“ Oder: „Der gemeine schwäbische Aggressor ist in Berlin immer und überall auf der Suche nach Wohneigentum.“ Und wie ist der „schwäbische Aggressor“ in Berlin bewaffnet? „In der Tasche, neben der der gemeine Schwabe früher sein verrostetes Schwert trug, befindet sich heute seine Waffe, womit er Berlin erobert oder zumindest für sich einnimmt: das Geld von Papi und Omi.“
Selbst auf höchster politischer Ebene in Berlin wird inzwischen gegen die Schwaben polemisch Politik gemacht. Im Bundestag hätte die „schwäbische Mafia“ unter Volker Kauder und Wolfgang Schäuble längst viel zu viel zu sagen, maulen viele in der CDU. Und andere haben die Kanzlerin bereits gewarnt, sie solle bei der Rechtfertigung ihrer Politik sich nicht immer auf die „schwäbische Hausfrau“ berufen. Das sei eine parteischädigende Argumentation, vor allem in Berlin.
Die Schwabenfeindlichkeit in Berlin hat inzwischen lange Tradition. Begonnen hat sie Mitte der Neunzigerjahre, als im Prenzlauer Berg die zu DDR-Zeiten völlig vergammelten Mietskasernen von Schwaben aufgekauft und über Bausparverträge renoviert wurden, was vielfach zu Erhöhungen der Mieten geführt hat, die zu DDR-Zeiten oft nur zweistellig gewesen waren. Das provozierte die Berliner, die sich alsbald zur Kiezguerilla und den Kampf gegen die schwäbischen Invasoren aus Esslingen und Umgebung formierten. Vielfach vertrieben die Schwaben auch Hausbesetzer, die überhaupt keine Miete bezahlten. Hinzu kam, dass der Berliner Stadtsoziologe Professor Hartmut Häußermann den Schwabenhass mit der Erklärung anfeuert: „Die fliehen vor der Kehrwoche und Enge und suchen in Berlin buchstäblich das Weite.“
Längst wird der Schwabenhass auch ideologisiert. Dann wird von „Gentrifizierung“, auch von „Yuppifizierung“ geredet, wodurch sich in den alten Bezirken jetzt die Latte-Macchiato-Generation breitmache, auf den Gehsteigen mit ihren superteuren Kinderwagen ständig Staus produziere für die Radfahrer und auch zu viele Kinder, dass man sich schon fremd fühlen müsse in seinem Kiez. Nur wenige erinnern sich noch bewusst an die DDR-Verhältnisse. Etwa der SPD-Politiker Thierse, der am Kollwitzplatz wohnt und dort auch schon die ohnehin wenigen Parkplätze sperren lassen wollte. Früher sei doch alles grau in grau gewesen, sagt Thierse, und es sei schon fast Luxus gewesen, in der Wohnung ein Klo zu haben und nicht im Treppenhaus. Aber auch Thierse lehnt es ab, „über den Prenzlauer Berg eine Käseglocke zu stülpen und daraus ein Museum der proletarischen realsozialistischen Armut und des Verfalls zu machen“.
Die giftige Stuttgartisierung der Bundeshauptstadt, die polemische Ausgrenzung der hinter den Türken größten Immigrantengruppe ärgert einen nicht: den Schauspieler und Regisseur Achim E. Ruppel. Denn der versteht was von Schwaben, weil er selbst ein waschechter ist. Er stammt aus Albstadt. Und versteht mindestens ebenso viel von Berlinern, unter und mit denen er seit 32 Jahren lebt.
Er hält die Berliner Schwabenjagd für eine Art „kostenloses Marketing“. Dass da zuweilen auch ziemlich böse Unter- und Obertöne erklingen, stört ihn nicht. „Der Schwabe spottet halt gerne, auch über sich selbst.“ Inzwischen habe ja jeder Berliner mitgekriegt, dass wir da sind, sagt Ruppel. „Und dass wir so viele sind.“ Das sei auch sehr gut so, denn mittlerweile existierten an der Spree hinreichend viele schwäbische Restaurants, in denen handgemachte Maultaschen serviert würden und ein trinkbarer Trollinger eingeschenkt würde.
Sein Ratschlag an die Berliner: Sie bräuchten endlich mal einen schwäbischen Bürgermeister, um aus den roten Zahlen herauszukommen. „Immer arm ist auf Dauer keinesfalls sexy.“ Weil die Schwaben beim Sparen findig seien, käme die Stadt mit einem solchen Bürgermeister bestimmt schneller aus den Miesen als mit einer rot-roten Regierung unter einem Klaus Wowereit.
Dass die Schwaben auch ganz anders können als in den klischeehaften Vorstellungen der Berliner, hat Ruppel bereits vorbildlich vorgeführt. Zusammen mit dem Autor Walter Vögele und dem Regisseur Andreas Neu hat der gelernte Diplomingenieur und studierte Theaterwissenschaftler in Berlin vor einem Jahr ein Ein-Personen-Theaterstück inszeniert, das vielfach in der Backfabrik im besonders schwabenfeindlichen Bezirk Prenzlauer Berg aufgeführt worden ist.
Lernprogramm, wie Schwaben wirklich sind
Darin können die Berliner endlich lernen, wie Schwaben wirklich sind, oder sagen wir: auch sein können. Der Held Matheis bringt alles mit, was der Sauschwoob ins Leben eben mitbekommt. Sparsam wia d'Sau, von preißischer Ordentlichkeit, einer eben, der auch alles kann außer Hochdeutsch. Er kann aber noch viel mehr, vor allem Dinge, um den ihn die angeblich so globalen Berliner beneiden: liebt Wein, Demos und das Westberliner Gammelleben. Gibt den Millionär, bis das elterliche Erbe futsch ist, er aber wegen seiner schwäbischen Herkunft kaum Arbeit findet. Mit Hilfe anderer Exilschwaben packt er es am Ende doch und erlebt eine späte politische Karriere.
Diesem Schwabenstreich sollen jetzt weitere folgen. Nach der Devise „Wir können alles außer langweilig“ sind Autoren (auch nichtschwäbische) aufgerufen, bis zum 15. September noch Theaterstücke zu schreiben, die dann ebenfalls in Mundart aufgeführt werden sollen. 3.000 Euro Honorar winken dem Sieger, gestiftet vom Deutschen Sparkassenverband Berlin, wo man offenbar weiß, was Schwaben wert sind als Bankkunden, und vom Landessparkassenverband Baden-Württemberg. Die Siegerwahl findet am 1. Dezember in der Landesvertretung Baden-Württemberg statt, zu der natürlich der echt schwäbische neue Ministerpräsident erwartet wird. In der Jury sitzen so echte Schwaben wie Autor Felix Huby und Ex-Bahnchef Heinz Dürr, immerhin Chef des Vereins der Baden-Württemberger in Berlin. Und weil es ja jetzt mehr denn je in Berlin um Völkerverständigung geht, will Ruppel auch wieder am Prenzlauer Berg spielen.