: Ein Lob den Informanten
Medien und ihre Macher sind meist mächtig stolz, wenn sie irgendeine krumme Sache in Politik oder Wirtschaft oder gar einen Skandal „enthüllt“ haben. Was sie dabei gern vergessen: Ohne Informanten im Hintergrund hätten sie mitunter kaum mehr als ihren eigenen Autorennamen publizieren können. Eine Hommage an Affärenflüsterer
von Rainer Nübel
Wenn Journalisten jemanden aufrichtig würdigen und über den grünen Klee loben, dann tun sie das nach uns vorliegenden Informationen aus außergewöhnlich gut unterrichteten Medienkreisen am liebsten in ganz eigener Sache. Also bei sich selbst.
„Wie war ich?“ Diese nur vordergründig selbstkritische, eher Lob heischende Frage meinte man bisher zwar nur aus Schlafzimmern zu kennen, als Nachspiel einer erfolgreichen Ausübung körperlicher Kommunikation. Doch als ehrlicher Journalist darf man die Wahrheit nicht unters Bett kehren: Diese ausgeprägt männliche Frage wird auch und besonders in Redaktionen von Zeitungen, Magazinen, Rundfunk- und Fernsehsendern gestellt. Womit keineswegs gesagt sein soll, dass es sich dabei um Schlafstuben handelt.
Das Journalisten-Ego – ein zartes Pflänzlein
Eigene empirische Langzeitstudien in der medialen Branche haben ergeben: Will man den sozialen Kontakt zu den einschlägig bekannten Kollegen, die diese besagte Frage leidenschaftlich gern und oft stellen, nicht verlieren, bietet es sich an, mit einem euphorischen „super, ganz super“ zu antworten. Wahlweise könnte auch ein ehrfürchtiges „Chapeau“ reichen, um das Ego des Reporterkollegen gebührend zu streicheln. Nur ein lapidares „Gut“ auszusprechen wäre hingegen fast fahrlässig. Oder riskant. Die Gefahr, dass dies als leise, versteckte Kritik aufgefasst wird, wäre zu groß.
Ein solches Reporter-Ich ist nämlich eine ganz filigrane Einrichtung. Es will gehegt und gepflegt werden. Journalisten – wir Journalisten – sind besonders sensible Wesen. Die Sache und nur die Sache ist uns wichtig. Und das Ego heilig. Daher sind insbesondere Journalistenpreise eine feine Sache. Sie prämieren die Glanzleistung einer perfekt geratenen Reportage oder einer „herausragenden investigativen Leistung“. Und polieren so auch das zarte Selbstbewusstsein auf, das ein jeder Reporter braucht und meist auch hat. Neben der fast schon legendären Fähigkeit zur Selbstkritik, versteht sich. Manche Journalisten, so kursiert in bekannt bösartigen Medienzirkeln, würden ihre Geschichten sogar ausschließlich auf solch einen Preis hinschreiben. Eine pfiffige Energie-Reportage für den Wettbewerb, den ein Energieriese ausschreibt, ein bewegender Sozialreport für die Bewerbung um den Preis des Sozialkonzerns, eine muntere Gesundheitsstory für den Krankenkassen-Preis oder so. Nur gut, dass es in Deutschland fast so viele Journalistenpreise geben soll, wie das Jahr Tage hat.
Der ganz große Coup (im Mediendeutsch: Scoop), gleichsam fast die Krönung journalistischer Schöpfungen, liegt vor, wenn ein veritabler Skandal „aufgedeckt“ und „enthüllt“ worden ist. Und wer hat ihn dann „aufgedeckt“ und „enthüllt“, wie die stil- und fachgerechte Terminologie lautet, die dann möglichst in jeder zweiten Zeile aufschreit? Natürlich das jeweilige Medium – und der investigative Topjournalist, dessen Name unter dem „Enthüllungsbericht“ steht.
Nun könnte es – zugegeben: ein gewagter Gedanke – auch mal sinnstiftend sein, das Reporter-Ego für einen klitzekleinen Augenblick hintanzustellen. Und etwas klarzustellen, was bisher wohl noch in keiner medialen Selbstdarstellung, journalistenpreisüblichen Laudatio oder Dankesrede richtig ausgesprochen worden ist: In den seltensten Fällen hat ein Medium oder der investigative Topjournalist allein einen Skandal „aufgedeckt“ oder „enthüllt“ – es waren und sind primär die Informanten im Hintergrund, die druckbare, ergo gerichtsfeste Informationen, Fakten, Dokumente und Belege geliefert haben.
Sie sind die Affärenflüsterer. Sicher, manche von ihnen haben nicht unbedingt die hehrsten Motive, warum sie die (auch nicht immer so hehren) Journalisten informieren, über neueste Irrungen und Wirrungen in einer Partei etwa oder über krumme Geschäfte oder gar über Korruption. Einige verfolgen ein ziemlich nüchtern-wirtschaftliches Kalkül. Andere wiederum führt das schlichte, allzu menschliche Motiv der Rache dazu, pikante Interna auszuplaudern, vorzugsweise über Personen, die ihre eigene Karriere nicht unbedingt gefördert haben. Vorrangig in der Politik ist letzterer Beweggrund immer wieder anzutreffen. Daher raten ältere Reporter gerne dem journalistischen Nachwuchs: „Strebt ihr eine kritische Geschichte über die Partei X an, dann sucht nicht beim politischen Gegner nach Informanten, sondern bei der Partei selbst. Denn die haben alte Rechnungen zu begleichen.“ Hinter diesem Kennertipp steht eine geradezu anthropologische Weisheit, die sich immer wieder aufs Eindrucksvollste bestätigt: „Es gibt keine schlimmeren Feinde als Parteifreunde.“
Informanten mit der geschilderten Motivlage sind häufig an einer spezifischen Verhaltensweise zu erkennen: Sie machen einen ausgeprägt nervösen Eindruck, wählen mitunter sonderbare Treffpunkte („heute Abend, 23 Uhr, in der Autobahnraststätte Hintertupfingen-Ost, vor dem Klo, und bringen Sie ja keinen Fotografen mit!“), wollen, dass die Geschichte am besten schon gestern im Blatt steht – und drohen, wenn der gestresste Journalist anmerkt, er müsse in den nächsten vier Tagen unbedingt Urlaub machen, morgen schon zur Medienkonkurrenz zu gehen.
Courage brauchen nur die Informanten
Doch es gibt auch und besonders den Typus von Affärenflüsterern mit höheren Beweggründen. Nämlich jene Informanten, die primär eines im Sinn haben: gravierende Missstände in Politik, Wirtschaft, Justiz oder Gesellschaft, auf die sie gestoßen sind, an die Öffentlichkeit zu bringen, damit dieselben abgestellt werden. Sie haben (noch) das Vertrauen darauf, dass die Medien diese Wächterfunktion seriös ausüben und dieser demokratische Staat noch richtig tickt. Vor allem aber haben sie eine Menge Courage.
Die ist, leider, auch notwendig. Denn egal ob es Politiker, Firmenbosse oder Behördenchefs sind, denen dank solcher seriöser Informanten Fehlverhalten oder eklatante Pannen medial nachgewiesen werden können – die meisten verfolgen dann fast ritualisiert zwei Ziele: von ihrer Verantwortung abzulenken und schnellstens rauszubekommen, wer der „Verräter“ ist. Diverse Ermittlungsbehörden zeigen sich darin übrigens besonders engagiert. Die Polizei Heidenheim etwa. Als Medien über Pannen im ungelösten Fall der entführten und ermordeten Bankiersgattin Maria Bögerl berichtet hatten, suchten sie mit großer Energie den oder die Informanten, starteten stante pede ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannt. Dass ein Stuttgarter Blatt ihnen dann auch noch prompt riet, bei den höheren Polizeichargen zu suchen, da gebe es Lecks, muss ihnen die Tränen in die Auge getrieben haben. Welch medialer Freundschaftsdienst!
Journalisten müssen, das ist eine eherne Regel, ihre Informanten schützen. Und sie sollten ihnen gegenüber offen sein, sie nicht als Fakten- und Beweiselieferanten funktionalisieren. Wie sollen Informanten sonst Vertrauen zu ihnen haben können? Denn Mut müssen nur sie aufbringen, nicht die Reporter. Die dürfen die Geschichte eines Skandals dann aufschreiben, in der warmen und sicheren Redaktionsstube – und danach die Lorbeeren einheimsen, für eine „ungemein couragierte Recherche“, wie es meist heißt. Das Leben als Affärenflüsterer ist ungerecht.
Champagner als zweifelhafter Dank
Ein ethikbewusster Spitzenjournalist übrigens war es, ausgerechnet ein Heroe des deutschen investigativen Journalismus, der einmal eindrucksvoll demonstrierte, wie ernst es ihm mit dem hochgehaltenen Informantenschutz ist. Ein alter Spendensammler einer einschlägig bekannten Partei hatte ihm wichtige Infos geliefert, in einer bundespolitisch äußerst brisanten Causa. Der Mann war herzkrank, hatte schon mehrere Bypass-Operationen hinter sich. Eindringlich bat er den prominenten Journalisten, seinen Namen im Bericht nicht zu nennen. Sonst müsse er mit gravierenden persönlichen Folgen rechnen. Der Reporter gab ihm sein Versprechen. Sprach's, setzte sich an den Computer, schrieb die aufsehenerregende Story – und nannte darin den Informanten mit vollem Namen und Funktion. Ohne Not.
Als der Informant, zutiefst geschockt, den sonst um die Journalistenethik so besorgten Reporter anrief, sagte der im gönnerhaften Ton: „Ich schick Ihnen eine Flasche Champagner nach Hause.“
Der herzkranke Mann schrie ins Telefon: „Die Flasche Champagner können Sie sich in den Arsch stecken.“ Selten hat ein Affärenflüsterer wohl weiser gesprochen.