: Nicht alle wollen nach Berlin!
Ein Reiseführer gegen den Mythos der hippen Hauptstadt
Berlin, ein großer Hype. Stadt der Superlative für Klubgänger, Schwule, Künstler, Bohemiens, nestflüchtende Kleinstädter, grüne Ganztagesmütter und Touristen weltweit. Wer hier lebt, scheint angekommen. Andere Städte, Orte, Regionen verblassen vor dem Ruf, der Berlin vorauseilt, sind kaum der Rede wert, jedenfalls keine Alternative.
Diesen weit verbreiteten Mythos wollen die Autoren von „Vergiss Berlin“ zerschlagen. Mit Polemik und selbstgefälliger Ironie durchstreifen sie die vielen Facetten der Stadt: die Modestadt –„eine Wichtigtuerei“; die Events – „mittelmäßige Ablenkung“; die Architektur – „planlos“; der Berliner Witz – ein „grobes Missverständnis“; die neue Mitte – „reine Selbstüberschätzung“. Doch bei allem angestrengten Kleinreden, dem wahrscheinlich jeder halbwegs normale Berliner voll und ganz zustimmen würde, ist das Buch eine kenntnisreiche Zustandsbeschreibung der Stadt mit vielen Fakten und Informationen. Ob angesagte Kneipen, Museen, Messen oder die Zuzugsrate, das Buch klärt auf. Es hat Gebrauchswert. Und eigentlich kann man sich nach all den Einblicken des Eindrucks nicht erwehren, dass die Autoren Berlin ziemlich gut, aber eben nicht übertrieben toll finden.
So ist es eben, wenn man mit einer selbst ernannten Diva lebt: Vom Strahlen bleibt, mit ein bisschen Glück, ein wenig alltäglicher Glanz. „Vielleicht muss man ja aus dem Ausland kommen, um Berlin so richtig zu mögen. Vielleicht ist es dann leichter, die Stadt zu lieben […], wenn man sie nur genießen kann und den Schwachsinn in ihr nicht verantworten muss“, überlegen die Autoren. Genau. Einen Antireiseführer haben die Autoren jedenfalls nicht geschrieben. Sie liefern einen gut lesbaren Realitäts-Check mit schlechten Fotos ohne Angaben, den sie großspurig und vollmundig – janz Berlin – vermarkten. Vergiss die Polemik! Eine Reisewarnung ist das jedenfalls nicht. EDITH KRESTA
■ Tommy Heuss, Christian Weiss: „Vergiss Berlin! Eine Reisewarnung“. Eichborn Verlag, 2011, 174 Seiten, 9,95 Euro