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Archiv-Artikel

Libyens Übergangsrat hat nur noch Freunde

LIBYEN Die Pariser Konferenz beschließt, dass die eingefrorenen Konten des Gaddafi-Regimes aufgetaut werden. Der Wiederaufbau hat Priorität. Über die Ausbeutung der Ölreserven wurde offiziell nicht gesprochen. Gastgeber Sarkozy ließ sich als Sieger feiern

Sarkozy will einen Löwenanteil der Kriegsbeute kassieren

AUS PARIS RUDOLF BALMER

Bevor unter dem Ansturm der Rebellen und der Nato-Luftangriffe Gaddafis letzte Bastionen fallen, laufen ihm auch noch die letzten Getreuen davon. Am Donnerstagabend setzte sich sein langjähriger Ministerpräsident Al-Bagdadi al-Mahmudi ab. Er hat sich auf dem Sender Al Arabija öffentlich der gegnerischen Übergangsregierung zur Verfügung gestellt. Diese meldete außerdem die Festnahme von Gaddafis Außenminister.

Den Gaddafi in Sirte noch ergebenen Truppen hat der Nationale Übergangsrat durch eine Verlängerung des Ultimatums, das Samstag ablaufen sollte, eine neue Chance zur unblutigen Kapitulation gegeben. Vom untergetauchten Gaddafi, der seine Anhänger erneut im Radio zum Widerstand mit allen Mitteln aufrief, zirkulieren in Libyen Steckbriefplakate mit Bildern, die ihn zur besseren Identifizierung mitunter auch mit kahl geschorenem Kopf zeigen.

Während sich die Schlingen um die möglichen Schlupfwinkel des Diktators zuziehen, rücken in Libyen die Fragen des demokratischen Übergangs nach der Feuereinstellung in den Vordergrund. Der Nationalrat CNT hat angekündigt, eine verfassunggebende Versammlung werde in acht Monaten stattfinden, ein Jahr später werde ein Staatspräsident gewählt.

Die absehbaren Schwierigkeiten beim Wiederaufbau des vom Krieg verwüsteten Lands standen im Mittelpunkt der Pariser Libyenkonferenz. Auf den Tag genau 42 Jahre nach der Machtergreifung Gaddafis sollte dieses Treffen der „Freunde des neuen Libyen“, wie die Teilnehmer auf der Einladung tituliert wurden, die Stunde null der Nach-Gaddafi-Ära markieren und den Grundstein zum Neuaufbau legen. Delegationen aus nicht weniger als 63 Ländern und Organisationen folgten der gemeinsamen Einladung des französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy und des britischen Premiers David Cameron. Man darf aus dem Gedränge auf dem „Familienfoto“, das den feierlichen Anlass im Hof des Élysée-Palasts für die Geschichte verewigen sollte, schließen, dass das befreite Libyen heute nur noch „Freunde“ hat.

Die internationale Anerkennung der siegreichen Rebellen kommt im einstimmigen Beschluss der Konferenzteilnehmer zum Ausdruck, die zum Teil verwüsteten und geplünderten Botschaften in Tripolis baldmöglichst wiederzueröffnen. Angesichts der dringenden Instandstellung oder Wiederherstellung der Infrastruktur ist dem Übergangsrat der Beschluss, umgehend 15 Milliarden Dollar der durch UNO-Sanktionen gesperrten Guthaben des alten Regimes hierfür freizugeben, noch wichtiger. Die weltweit blockierten Gaddafi-Gelder sollen sich auf mehr als 50 Milliarden Dollar belaufen. Durch die Rückerstattung dieses gestohlenen nationalen Vermögens kann die neue Regierung mit einem Geldsegen rechnen, der es zumindest erlauben soll, dringende Maßnahmen zugunsten der Bevölkerung sowie die Bezahlung der Beamtenlöhne und der ersten Räumungsarbeiten zu finanzieren.

Als Sieger ließ sich in Paris Gastgeber Nicolas Sarkozy feiern. Der französische Staatschef hatte zu einem kritischen Zeitpunkt die Initiative ergriffen, um den von ihrer Niederschlagung und Gaddafis blutiger Rache bedrohten Rebellen in Bengasi zu Hilfe zu eilen. Er hat dabei mit hohem Einsatz gepokert, mit einem Alleingang gedroht, die Partner brüskiert und sie samt und sonders mit der überraschenden Anerkennung des Übergangsrats als legitime Vertretung Libyens vor vollendete Tatsachen gestellt. Er hatte es auch eilig, Fehler der Vergangenheit vergessen zu machen: den pompös-peinlichen Empfang von Gaddafi in Paris im Dezember 2007 oder die verpassten Revolutionen in Tunesien und Ägypten. Dennoch will er nun innen- und außenpolitisch, diplomatisch und wirtschaftlich die Dividende seiner Libyenkampagne kassieren – wenn möglich sogar einen „Löwenanteil“ der Kriegsbeute, wie die Pariser Zeitung La Tribune meint. Über die allgegenwärtige Frage der zukünftigen Ausbeutung der libyschen Rohstoffe wurde auf der Konferenz offiziell nicht gesprochen. Hingegen hat der Übergangsrat dementiert, dass Frankreich als Gegenleistung für die politische und militärische Schützenhilfe in einem „Geheimvertrag“ 35 Prozent des libyschen Rohöls zugesichert worden sei, wie dies am Donnerstag Libération mit der Publikation eines entsprechenden Dokuments mit Datum 3. April behauptet hatte.