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Archiv-Artikel

„Meine Schüler sollen Denken lernen“

Norddeutschland schneidet bei einem bundesweiten Vergleich der Abiturnoten schlecht ab. Niedersachsen ist sogar Schlusslicht. Eberhard Brandt, Vorsitzender der Lehrergewerkschaft GEW über die Aussagekraft solcher Rankings

EBERHARD BRANDT, 56, ist Geschichtslehrer am Gymnasium und GEW-Vorsitzender in Niedersachsen.

taz: Herr Brandt, laut Kultusministerkonferenz hat Niedersachsens Durchschnittsabitur die Note 2,72, Schleswig-Holsteins 2,63. Sagen solche Zahlen etwas aus?

Eberhard Brandt: Das ist das Problem. Es ist ein sehr einfaches Weltbild. Was sagt eine Durchschnittsnote? Man meint, damit die Leistung der Schüler zu beurteilen, doch man bewertet damit viele andere Dinge. Die Bewertungspraxis der Lehrkräfte zum Beispiel, wie stark der Druck auf die Schulleitungen war und wie sie darauf reagiert haben. Die Schulen hatten natürlich auch Interesse an guten Noten, und die eine hat schlechten Schülern eher vom Abitur abgeraten, während eine andere sie ermuntert hat, es trotzdem zu versuchen. Dass da unterschiedliche Durchschnittsnoten entstehen ist klar. Man hat also vollkommen Unvergleichbares verglichen.

Gibt es denn Beispiele für den Druck?

Es gab in Sachsen diese Internetseite www.sachsen-macht-schule.de: Da wurde jede Schule mit ihren Durchschnittsnoten aufgelistet. Da will natürlich jede gut dastehen. Das wird an die Schüler weitergegeben. Außerdem gab es die Diskussion, Lehrer seien zu geizig mit Einsen.

In der Pisa-Studie wurde die fehlende Chancengleichheit kritisiert. Wurde denn auch untersucht, wie viele Migranten das Abitur in einem Bundesland abgelegt haben?

Nein, das ist auch so ein Punkt. In Bayern ist zum Beispiel der Zugang zu den Gymnasien auf die bildungsnahen Schichten begrenzt. Natürlich kann ein Gymnasium, das auch Migranten und ärmeren Kindern eine Chance gibt, eine schlechtere Durchschnittsnote haben. Wäre diese Schule dann wirklich schlechter?

Sollen aus dieser Studie jetzt Konsequenzen gezogen werden?

Der niedersächsische Kultusminister Bernd Busemann hat jetzt gleich das Zentralabitur gefordert. Das sehe ich sehr skeptisch. Es gibt in den Bundesländern unterschiedliche Bildungstraditionen. Ein Freund von mir aus Berlin ist jetzt Professor in Stuttgart, und er war entsetzt. Die Studenten fragen ihn, was richtig und was falsch sei. Sie haben in der Schule gelernt, einfach mitzuschreiben. Das hat doch nichts mit Wissenschaft zu tun.

Wie könnte so ein Zentralabitur dann funktionieren?

Das ist das große Problem. Wie will man das vereinheitlichen, wenn man unterschiedliche Ziele in der Bildung hat. Ich bin ja selbst Geschichtslehrer, und ich möchte den Stoff nicht so durchprügeln wie in Bayern. Meine Schüler sollen wissenschaftliches Arbeiten und Denken lernen.

Ist ein Vereinheitlichung denn überhaupt nötig? Die Länder unterschieden sich in der ersten oder zweiten Stelle nach dem Komma.

Eben. Jeder, der in der Uni Statistik hatte, wird sagen, diese Zahlen sind gar nicht relevant. Da werden Nachkommastellen aufgeblasen: „Brandenburg ist auf Platz sieben“ klingt nun mal schlimmer als „Brandenburg liegt 0,16 Notenpunkte hinter Thüringen“. Eigentlich möchte man eher sagen: Schön, dass sie so nah beieinander liegen. INTERVIEW: STEFANIE HELBIG