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Archiv-Artikel

Versendeter Frieden auf Erden

TV-PROGRAMM WIE IMMER

Zur Feiertagschoreografie gehören jedes Jahr aufs Neue die gleichen Geschichten

Niemals hängt der Mensch so viele Stunden vor dem Fernseher wie zu Weihnachten. Und damit meine ich keinen Computer mit Streaming-Abo, sondern den richtigen Fernseher, die Glotze, die Röhre, wo jedes Jahr zwischen dem 24. und 26. Dezember durch die Versendung froher Botschaften zum Frieden auf Erden beigetragen wird, vor allem dem Frieden innerhalb jener Gruppen, die sich aufgrund von genetischen oder vertraglichen Verbindungen Familien nennen.

Heiligabend bin ich um halb elf morgens aufgewacht. „ ‚Die Weihnachtsgans Auguste‘ läuft seit dreißig Minuten“, hab ich getwittert, „wieso weckt mich denn keiner?!“ Es gehört schließlich zur festen Taktung der Feiertagschoreografie dazu, sich jedes Jahr aufs Neue die gleichen Geschichten zu Gemüte zu führen. Die von der Geburt Jesu zwischen Ochsen und Eseln genauso wie die der ungeliebten Stiefschwester, die ihren Schuh verliert und am Ende den Prinzen heiraten darf. Oder die Geschichte von dem einen Jahr, wo Papa versucht hat, den Tannenbaum vom Bahnhof Ostkreuz zu klauen. „War gar nicht Ostkreuz“, sagt Papa, „war Adlershof!“ (siehe Kolumne nächste Seite)

Das Besondere bei den Fernsehgeschichten ist übrigens, dass man immer den Anfang verpasst. Tausendmal hab ich die durch den Schnee reitende Libuše Šafránková am Schluss der „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ gesehen, das abstürzende Brathähnchen zu Beginn des Films aber erst ein paar Mal. Die Süddeutsche Zeitung hat schon vor Wochen eine Liste aller Sendetermine für die „Haselnüsse“ ins Netz gestellt. Ich konnte Paul sogar überreden, den Film mit mir zu gucken. „Und wann kommen die Orks?“, hat er gefragt, „wann kommen die Orks und machen alles platt?“

Pauls ultimativen Weihnachtsfilme sind „Stirb langsam“, „Ben Hur“ und „Der kleine Lord“. Man muss sich nur diesen Schinken reinziehen, um zu verstehen, warum manche Leute bedauern, dass vor 25 Jahren nicht die DDR gewonnen hat. Was ist denn bitte diese blonde Nervbratze mit ihrer fisteligen Synchronstimme gegen die komische Anmut einer „Nur nicht aus Liebe weinen“ krähenden Käthe Reichel in der „Weihnachtsgans Auguste“?!

Paul behauptet, er würde den „Lord“ nur wegen des angeödeten Gesichtsausdrucks von Alec Guiness gucken, der den Großvater spielt. Ich glaube ihm kein Wort. Dieses nervige blonde Kind bedeutet ihm dasselbe wie mir Auguste und Aschenbrödel: Geborgenheit. Tradition. Die kurze Versicherung einer gerechteren Welt, bevor die Gans auf den Teller kommt und die Reichsten wieder die größten Geschenke kriegen. LEA STREISAND