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Archiv-Artikel

„Weitestgehende Kontinuität“

GESCHICHTE Zu den Vorgängerinstitutionen der HfK zählt neben der „Nordischen Kunsthochschule“ auch deren Pendant für Musik. Diese Wurzel ist fast völlig vergessen

Michael Zywietz

■ Jahrgang 1964, ist seit 2007 Professor für Musikwissenschaft an der Bremer Hochschule für Künste. Arbeitsschwerpunkte sind die Musikgeschichte des 16., 18. und 19. Jahrhunderts sowie die Geschichte der Kirchenmusik im 20. Jahrhundert. Michael Zywietz ist Mitherausgeber des Lexikons der Kirchenmusik, das kommendes Jahr erscheint

INTERVIEW: HENNING BLEYL

taz: Herr Zywietz, mitten im Krieg, 1942, wurde in Bremen eine „Nordische Musikschule“ gegründet. Also acht Jahre, nachdem die „Nordische Kunsthochschule“ mit dem Auftrag ins Leben gerufen wurde, einen „rassisch beseelten“ neuen Kunstbegriff zu schaffen. Warum ließ man die MusikerInnen so lang in Ruhe?

Michael Zywietz: Bremen war traditionell keine Musikstadt. Aber es gab bereits in den 30er-Jahren Bestrebungen, eine staatliche Musikschule zu gründen. Dabei ging es weniger um Ideologie als um das Bemühen, die in Bremen bislang ausschließlich privat stattfindende Musiker-Ausbildung zu professionalisieren. Diese Initiative tauchte regelmäßig in den Senatsprotokollen auf, verschleppte sich aber immer wieder, wobei offenbar vor allem finanzielle Gründe eine Rolle spielten.

Am 3. März 1941 teilte der Bürgermeister, SA-Obergruppenführer Heinrich Böhmcker, dem Finanzsenator schließlich mit, dass er einer Gründung „zur Zeit eher ablehnend“ gegenüber stehe. Mit der „Nordischen Kunsthochschule“ verfüge der Senat über ein „hinreichendes Instrument, seinen künstlerischen Belangen gerecht zu werden.“ Mit anderen Worten: Einerseits war der ideologische Wille denn doch nicht so stark, andererseits hatte der Bürgermeister offenbar die Nase voll von den Querelen an der Kunsthochschule. Die arbeitete, wegen der penetranten Streitigkeiten im Lehrkörper, mit erheblichem Leerlauf.

Warum kam es fünf Monate später dann doch zur Gründung der „Nordischen Musikschule“?

Wir wissen nicht, was zwischen März 1941 und August 1942 passiert ist – wie aus heiterem Himmel kommt es plötzlich zur Gründung. An den äußeren Umständen hatte sich nichts geändert: weder an der Finanzlage noch am Umstand, das Deutschland Krieg führte. Also muss sich auf politischer Ebene etwas bewegt haben. Möglicherweise gab es eine Intervention von höherer Stelle – aber darüber können wir nur spekulieren.

Sind denn alle Quellen ausgeschöpft, oder kann noch weiter geforscht werden?

Die Hoffnung auf neue Quellenfunde besteht immer. Doch die Protokolle der Senatssitzungen aus dieser Zeit sind vollständig erhalten, insofern muss der Gesinnungswandel im informellen Rahmen vollzogen worden sein. Übrigens taucht auch dann erst der Name „Nordische Musikschule auf“. Vorher war davon nie die Rede.

Das deutet ebenfalls auf politischen Willen hin. Wie versuchte man, dem Titel „nordisch“ praktisch gerecht zu werden?

Schon bei der feierlichen Eröffnung zeigt sich ein überraschend konventioneller Zuschnitt, übrigens auch das nicht allzu anspruchsvolle Niveau dieser Anstalt. Man spielte Mozart-Divertimenti oder ein Schubert-Rondo für Klavier. Nichts Martialisches, auch keine aktuellen Werke von Komponisten, die vom Regime gefördert wurden wie beispielsweise Carl Orff.

Allerdings wurden auch keine nicht-deutschen Komponisten gespielt.

Das stimmt, trotzdem war das keine sehr ideologisch aufgeladene Veranstaltung. Allenfalls die Einbeziehung von Buxtehude, der ja als Vertreter einer „nordischen Gotik“ galt, könnte so gewertet werden.

Auffällig ist, dass die Domorganistin Käthe van Tricht als Sängerin im Eröffnungsprogramm auftaucht. Galt sie nicht als sogenannte „Halbjüdin“?

Dies ist wiederholt behauptet worden, aber ein Beweis hierfür ist mir nicht bekannt.

Wie kann man sich die weitere Praxis an der „Nordischen Musikschule“ vorstellen?

Es gab 150 bis 200 Studenten und 15 Lehrkräfte, viele von ihnen waren im Hauptberuf Mitglieder des Bremer Staatsorchesters. Einer der wenigen Lehrer mit wirklich überregionalem Ansehen war Domkantor Richard Liesche, einer der führenden Kirchenmusiker in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seine Arbeit wurde deutschlandweit wahrgenommen. An der „Nordischen Musikschule“ fungierte Liesche als Leiter der Abteilung Tasteninstrumente.

Traten die Schul-Ensembles bei wichtigen offiziellen Anlässen auf?

Von der „Nordischen Musikschule“ zur HfK

Die „Nordische Musikschule“ hatte ihren Sitz zumindest zeitweise in der Gothaer Straße – in dem Altbau, der heute Teil des Schulzentrums Findorff ist. Ein großer Teil des Unterrichts fand allerdings dezentral statt.

■ Direktor der Schule war Albert Barkhausen, ein Sohn des langjährigen Bremer Bürgermeisters Carl Georg Barkhausen. Im April 1943 wurde der Schule eine „Opernschule“ angegliedert, im Herbst 1944 die gesamte Schule geschlossen.

■ Leiter der Meisterklasse Violine an der „Nordischen Musikschule“ war Hermann Grevesmühl, der 1948 Direktor der mit Unterstützung der Bildungsbehörde wiedereröffneten „Bremer Musikschule“ wurde. Aus dieser entwickelte sich das staatliche „Konservatorium“ und 1979 die Musikabteilung der „Hochschule für Gestaltende Künste und Musik“, der heutigen HfK. Die Jugend- und Volksmusikschule blieb als kommunale Einrichtung der außerschulischen Jugend- und Erwachsenenbildung erhalten und ist seit 1999 als „Musikschule Bremen“ ein städtischer Eigenbetrieb.

■ Richard Liesche, 1933 zum Landeskirchenmusikwart ernannt, organisierte 1948 die Kirchenmusikabteilung an der neuen Bremer Musikschule, wurde im Jahr darauf vom Senat zum Professor ernannt und Vorsitzender des Landesverbandes Bremer Tonkünstler.

■ Burchard Bulling, an der „Nordischen Musikschule“ für den „Nationalpolitischen Unterricht“ zuständig, leitete nach dem Krieg die städtische Musikbibliothek und baute das später von der Bremer Universität übernommene „Archiv Deutsche Musikpflege“ auf. HB

Davon haben meine Mitarbeiter und ich im Archiv nichts gefunden, auch keinen Hinweis auf Konzerte für Verwundete oder Ähnliches. Das könnte allerdings auch an mangelnder Leistungsfähigkeit gelegen haben. Eine Ausnahme ist die HJ-Singschule mit ihren politischen Liedern, aber die gab es auch schon vor der Gründung der „Nordischen Musikschule“. Sie wurde ihr nur angegliedert.

Gab es Bemühungen um eine ideologisch motivierte Ästhetik, etwa in Gestalt von Auftragskompositionen?

Das einzige, was wir haben, sind einige bemüht wirkende Kompositionen, die stilistisch aber letztlich im Einklang mit bestimmten Stiltendenzen der Zeit bleiben, ohne dass deswegen gesagt werden kann, sie seien politisch neutral. Mein Gesamteindruck ist, dass man auf Nummer sicher ging und sich letztlich sehr aufs Klassische zurückgezogen hat.

Wie war die Schule finanziell ausgestattet?

1942 hatte sie einen Etat von 74.000 Reichsmark, bekam aber nur 32.490 Mark als Zuschuss. 60 Prozent ihres Etats musste sie also selbst erwirtschaften. Die Finanzdecke war so knapp bemessen, dass man zeitweise über die Schließung der Außenstelle Vegesack nachdachte.

Wie ging es nach 1945 weiter?

Es ist eine weitestgehende personelle Kontinuität zu beobachten, da alle Lehrer als politisch unbelastet eingestuft wurden. Auch im Falle Liesches, dem gelegentlich eine zu große Nähe zum Regime nachgesagt wird, konnte eine Parteimitgliedschaft nicht sicher nachgewiesen werden. Der Bremer Komponist Burchard Bulling ist der einzige, der in der Musikschule der Nachkriegszeit nicht mehr auftaucht. Das mag daran liegen, dass er für das schöne Fach „Nationalpolitischer Unterricht“ an der „Nordischen Musikschule“ zuständig war.