Reise in die Kindertage

RÜCKBLICK In Hamburg-Bahrenfeld erinnert nun ein Pilgerstein an die erste deutsche Fußballmeisterschaft

„Ich fühle mich wie ein kleiner Bensemann“, sagt Sebastian Bona auf dem Hof einer Druckwerkstatt am Rondenbarg in Hamburg-Bahrenfeld. Walther Bensemann war ein Fußballpionier in Deutschland und gründete 1920 das Fußballmagazin Kicker. Bona, Anhänger des 1. FC Lokomotive Leipzig, enthüllte am Samstag den ersten Fußball-Pilgerstein Deutschlands.

Vor einem Jahr hat er hier den Ort gesucht, an dem 1903 das Finale der ersten deutschen Fußballmeisterschaft ausgetragen wurde. Der Sieger hieß damals nämlich VfB Leipzig, in dessen Fußstapfen Lokomotive Leipzig nach der Auflösung 2004 getreten ist. Am Ziel angekommen, fand Bona sich in einem trostlosen Industriegebiet wieder. Nichts erinnerte an die ruhmreiche Vergangenheit.

„Tradition ist ein Wert, den sollten wir pflegen“, sagt Bona im Kreis seiner Mitstreiter, die im Trikot vom Fünftligisten Lokomotive Leipzig angereist sind. „Wir sollten immer auf die Kindertage des deutschen Fußballs zurückschauen.“ Bona scheut sich aber auch nicht zuzugeben, dass die Traditionspflege mitunter eine „Ersatzbefriedigung“ mangels aktueller Erfolge ist. „Wo auch immer wir heute rumdümpeln: Wir waren die ersten Meister, damit können wir uns identifizieren.“

Das Schicksal der sportlichen Bedeutungslosigkeit teilen die Leipziger mit den anderen noch existierenden Endrundenteilnehmern von 1903 beziehungsweise deren Nachfolgevereinen: dem Karlsruher FV, dem 1. FC Magdeburg, dem Berliner SV (vormals Britannia 92 Berlin) und Altona 1893. Der damalige Endspielgegner auf dem Exerzierplatz in Bahrenfeld, der Deutsche Fußballclub Prag, wurde 1939 unmittelbar nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Prag als „jüdischer Verein“ verboten.

Bonas Kooperationsaufruf an die verblieben fünf Vereine stieß auf ein gemischtes Echo. „Beim Berliner SV sagte mir der Präsident persönlich, man möchte nur noch in die Zukunft schauen“, bedauert Bona. Dafür hat er an diesem Tag neben dem Marketingleiter von Lokomotive Leipzig auch Dirk Barthel, den Präsidenten von Altona 93, an seiner Seite. „Altona 93 ist Tradition pur“, sagt Barthel. „ Ich freue mich, dass die Leipziger das in die Wege geleitet haben.“ Die 93er richteten damals das Endspiel aus, da sie selbst im Halbfinale in Leipzig gescheitert waren. Dann serviert der Besitzer der Druckwerkstatt Sekt, Bier und Schnittchen und der große Augenblick ist da. Der erste Fußball-Pilgerstein Deutschlands, ein Findling aus dem Plache-Stadion in Leipzig, wird enthüllt. „Das Thema hat Potenzial“, ruft Sebastian Bona aus. Und hofft, dass künftig an jedem 31. Mai Deutschlands Fußball-Traditionalisten nach Bahrenfeld pilgern. Der nächste Pilgerstein soll im alten Stadion des VfB Leipzig aufgestellt werden. RALF LORENZEN