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Archiv-Artikel

Akustische Abstellwiese

ARCHIV Eine neue Internetplattform bietet ausgewählte Radio-Hörspiele

Die Macher bedienen sich dabei des Verlagsprinzips, nach dem gegen Geld entweder der Download oder der Versand eines Stücks angeboten wird

VON JENNI ZYLKA

Wenn Auditives und Sehende aufeinandertreffen, entsteht immer das gleiche Problem: Wohin mit den Augen, während die Ohren beschäftigt sind? Bands bieten eine Bühnenshow, bei langweiligen Vorträgen gibt es illustrierende Grafiktafeln, Kirchen wurden mit bunten Mosaikfenstern und (Ehr-)Furcht einflößenden Fresken dekoriert, um die Gläubigen bei der Stange zu halten. Die Theatergruppe Rimini Protokoll unterlegte ihr aus einem Bühnenstück entstandenes Hörspiel „Sitzgymnastik Boxenstopp“ beim Launch des „Hörspielparks“ am Samstag mit einem Kreuzworträtsel: Während man hörte, wie Altenheimbewohnerinnen ein fiktives Fachgespräch über Autorennen führen, saßen auf der Bühne des Berliner „Hau 2“ zwei echte Seniorinnen am Tisch und lösten auf einem Overheadprojektor ein sogenanntes Achterbahnrätsel, eine besonders sportliche Rätselvariante, bei der die Lösungswörter in miteinander verbundene Kreise geschrieben werden. Am Ende köpften die Seniorinnen mithilfe eines raffinierten Sektkorken-Knallapparats gemeinsam eine Flasche Schaumwein.

Jenes Rimini-Protokoll-Werk kann man nun auch zu Hause hören und dabei Kreuzworträtsel lösen und/oder Sekt kippen: Die vom Regisseur Paul Plamper und der Projektleiterin Marion Czogalla vorgestellte Internet-Plattform „Hörspielpark“ (www.hoerspielpark.de) will bereits im Radio versendete, von ihnen ausgewählte Werke für jeden zugänglich machen. Sie bedient sich dabei des üblichen Verlagsprinzips, nach dem gegen Geld entweder der Download oder der Versand eines on-demand gebrannten Stücks angeboten wird. „Mir hat so eine Art Arthouse für Hörspiele gefehlt“, sagt der begeisterte Hörspielfan Plamper und erklärt, dass die schlichten, sich nur farblich unterscheidenden Cover dem Hörer Platz für die eigenen Fantasiebilder lassen sollen. Was ein bisschen puritanisch klingt: Können nicht auch vorhandene Bilder die Fantasie anregen? Plamper und Czogalla bedanken sich bei den kooperierenden Sendern, die ihnen die Kunst nach der Erstaufführung zu Verfügung stellen, und erzählen von den Schwierigkeiten bei der Klärung der Rechte, die es manches benutzte Musikstück nicht auf die Plattform schaffen ließen. Das mag schade sein, doch die Musiker, deren Copyright dadurch geschützt wird, freuen sich garantiert.

Hoffentlich gibt es den von Plamper und seinem Team ausgemachten Bedarf an diesem aus Leidenschaft betriebenen Online-Hörspielarchiv mit Mitnahmefunktion überhaupt. Schließlich bieten Radiosender in ihren Mediatheken oder auf speziellen Servern längst Mitschnittmöglichkeiten, Podcasts und Downloads an. Auf die vom Hörspielpark hoch gelobte Vernetzung der Informationen, die beim Klick auf einen Namen gleich weiterführende Infos aufriefen, beruht jede Homepage im unendlichen Web. Und dass den potenziellen Hörern, die das Stück ja ohnehin als nicht-greifbare Akustik-Erfahrung kennen lernen, der „goldene Rohling“ als haptisches Erlebnis genauso wichtig ist wie Plamper, spricht gegen den allgemeinen Rückgang von Archivmedien. Aber vielleicht muss das Rad auch mal wieder neu erfunden werden, damit es richtig rollt.

Am Samstag hatte man sich jedenfalls bei allen Hörspielausschnitten bemüht, auch die rastlosen Augen zu okkupieren: Zu Plampers nach einem J.G.-Ballard-Roman entstandenen Stück „Hochhaus“ lief ein Kunstfilm, der zunächst aus dem Standbild eines leeren Hochhausflures bestand, sich aber nach Minuten minimal veränderte, der Boden schien nachzudunkeln. Oder fiel man nur in halluzinogene Hörspieltrance? Erst Schneider TM konnte einen mit dem live eingespielten Soundtrack vorsichtig und brachial wieder aufwecken.