: Relooking
Die Generation der vorletzten Jahrhundertwende hat durch ihre stilistischen Innovationen und ihren avantgardistischen Esprit Modegeschichte geschrieben. Inspiriert von den ersten Reisen in die Ferne und dem geistigen Umbruch schufen junge europäische Designer Mode wie wir sie heute kennen. Und was ist mit uns, was schaffen wir für die Nachwelt?
Seit einigen Jahren wird die momentane Jahrhundertwendegeneration in den Medien mit einer ebenso spöttischen wie mitfühlenden Bezeichnung abgespeist: „Die Generation Praktikum.“ Es wird vieles über uns berichtet und vieles davon wird gerne gelesen – sogar wir selbst gieren nach Informationen über uns und unsere unsichere Zukunft.
Beruflich sind wir dazu verdammt, uns jahrelang ausbeuten zu lassen, gleichzeitig aber immer flexibel und hoch motiviert zu sein. Als Gegenstück dazu können wir uns damit brüsten, besser als jede Generation zuvor die Bedeutung des Wortes „Fernbeziehung“ zu kennen. Sowohl beruflich als auch privat sind wir scheinbar die Verkörperung einer tiefen Unsicherheit und Ziellosigkeit.
Versteht man Mode als eine der ursprünglichsten Ausdrucksformen des Menschen, die jede Generation stilprägend für sich neu erfindet, lohnt sich der Blick in aktuelle Modemagazine und ihre Schlagzeilen: „So trägt man ihn, den neuen Grunge Look! Das 80s Revival, die zehn besten Looks! Trend: Strick! Glamouröse Partylooks!“ Schlagwort der heutigen Generation ist der Look – der Heroin-Look, der Pariser Look, der Ethno-Look oder auch der Grunge-Look. Dabei handelt es sich um ein „aussehen als ob“, eine Kopie, fern ab von jeder Authentizität.
Die Generation unserer Eltern war entweder Hippie oder Bankangestellter, und das sah man ihnen auch an. Die „lost generation“ hat keine Ziele und deshalb auch keine Grenzen: Gekleidet wie ein Hippie kann der ewige Praktikant raven, als trüge er den Junkie-Look. Billigbekleidungstempel wie H & M und Zara machen es möglich, alle drei Monate ein „Relooking“ an sich selbst vorzunehmen und damit gleichzeitig kostengünstig eine neue Identität zu kaufen. Gestern Abend noch Vamp im Punk-Look sind sie heute Blumenmädchen im gefakten Chloé-Kleid.
Zum einen lässt diese fast schon metaphysische Trennung zwischen Körper und Geist eine Freiheit des Ausdrucks und auch eine Freiheit von festen Zugehörigkeitsmerkmalen zu. Zum anderen ist sie aber auch die Negation des Ausdrucks durch den bekleideten Körper. Die Kleidung wird wie eine leere Hülle übergestülpt, in den wenigsten Fällen mit einer Persönlichkeit ausgefüllt und bleibt deshalb auch jeder Ausdruckskraft verschlossen.
Bei stil- und lookimmunen jungen Menschen trägt das keine Folgen mit sich, umso „gefährlicher“ wird es aber bei den besagten Looks, denen die „Fashion Victims“ nacheifern und die ohne persönliche Note mehr wie eine lächerliche Verkleidung als eine Kleidung wahrgenommen werden. Um dieser Gefahr auszuweichen, greifen die meisten lieber zu extrem neutralen Stücken, die wenig aussagen und deshalb auch keine persönliche Haltung von ihren Trägern fordern. Zwangsläufig senken sie aber dadurch auch kontinuierlich das ästhetische Bewusstsein.
Die Berliner Modistin Fiona Bennett ist der Überzeugung, man müsse in einen Hut reinwachsen. Das Hut-Tragen ist in ihren Augen ein Signal, das mit Würde und Persönlichkeit erfüllt werden muss. Bei der heutigen Generation verhält es sich mit der Kleidung ganz ähnlich: Es geht nicht unbedingt darum, was man trägt, sondern wie man es trägt! Stil und Mut zur Aussage würde der neutralen Generation nicht schaden. Oder wird man wirklich stillos glücklich?
ANNABELLE HIRSCH, Jahrgang 1987, schreibt als freie Journalistin über Lebensmoden und Stilfragen