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Archiv-Artikel

Eine Zukunft für die Kasbah

Ein Dringlichkeitsplan soll die Altstadt von Algier vor dem Verfall retten. Touristen kehren zaghaft zurück, um das Unesco-Weltkulturerbe zu besichtigen. Die Bewohner der Kasbah sehen in dieser Entwicklung ein gutes Zeichen. Beweist sie doch, dass die dunklen Neunzigerjahre vorbei sind

TIPPS FÜR ALGIER

Aus Deutschland fliegt neben Lufthansa die algerische Air Algérie nach Algier. Eine weitere Möglichkeit ist mit Air France über Paris. Das staatliche Hotel Albert Premier (0 02 13 21 73 65 06) und das private Dar Ediaf (0 02 13 21 36 10 10) sind günstig und gut. In beiden Hotels gibt es an der Rezeption Telefonnummern von Führern durch die Kasbah. Neben der Altstadt lohnt es sich auch, ausgiebig durch die moderne französische Stadt zu schlendern. Wer zum Beispiel Marseille mag, wird von Algier begeistert sein. „La Blanche“ – „die Weiße“, wie die Bewohner ihre Hauptstadt nennen – liegt an einer malerischen Bucht. Zu empfehlen sind das herrliche Postgebäude in der Stadtmitte, die Basilika Notre Dame d’Afrique hoch über der Stadt, das Mausoleum Sidi Abderrahmane, das Museum Bardo mit seinen Sammlungen über Kunst und Tradition sowie das Musée des Antiquités mit seinen Schätzen aus der Römerzeit. Wer sich für diese Epoche interessiert, dem sei ein Tagesausflug in die Ruinen von Tipasa empfohlen, auch sie sind Unesco-Weltkulturerbe. Einreisebedingungen: www.algerische- botschaft.de

VON REINER WANDLER

Die ersten Touristen sind zurück in der Kasbah, der Altstadt von Algier. Mit neugierigem Blick schlendern sie durch die engen Gassen, mühen sich die Treppen hinauf, wagen einen Blick in Innenhöfe, Sackgassen und kleine Werkstätten. Ein bisschen unsicher sind sie noch. Doch mit der Zeit trauen sie sich mehr und mehr. Denn nichts ist von Feindseligkeit zu spüren, für die die Kasbah in zehn Jahren Bürgerkrieg bekannt wurde. So mancher Einwohner grüßt freundlich und schaut den Besuchern erstaunt hinterher, wie sie in einem im Auftrag des Kulturministeriums frisch restaurierten Palast verschwinden.

Tourismus und staatliche Investitionen – die Bewohner der Kasbah sehen in dieser Entwicklung ein gutes Zeichen. Beweist sie doch, dass die dunklen 90er-Jahre endgültig vorbei sind. Damals versank Algerien nach dem Abbruch der ersten freien Wahlen im blutigen Chaos. Der Konflikt zwischen Staat und radikalen Islamisten verwandelte die Kasbah zum Sperrgebiet. Selbst Menschen der anliegenden Quartiere trauten sich nicht mehr in das Gewirr aus Gassen, dass sich vom Hafen den Hang eines 118 Meter hohen Hügels hinaufzieht.

Hier herrschten die „Tangos“, wie die Algerier die bewaffneten Islamisten nennen. Schießereien waren an der Tagesordnung. Viele Einwohner verließen den Stadtteil. Familien, die nur im entferntesten in Verdacht gerieten, den Staat zu unterstützen, waren dem Terror ausgesetzt. Wer im Ruf stand, Sympathie mit den Islamisten zu hegen, wurde andererseits leicht Opfer der gnadenlosen staatlichen Repression. Seit die Aussöhnungspolitik Ende der 90er-Jahre begann, hat sich die Kasbah beruhigt. Wenn einem Fremden überhaupt etwas passieren kann, dann, dass er bestohlen wird. Aber das ist selten in Algiers Altstadt.

Jetzt, wo wieder Ruhe herrscht, ist Zeit für eine Bestandsaufnahme in der Kasbah, die seit 1992 auf der Liste des Unesco-Weltkulturerbes steht. Das Ergebnis fällt nicht gut aus. „Die Kasbah ist schwer krank“, konstatiert Yacine Ouagueni, Architekt und Chef der vom Kulturministerium ins Leben gerufenen Behörde zur Restaurierung der Altstadt. Immerhin ist die Altstadt von Algier eine der größten zusammenhängenden Altstädte der arabischen Welt. Das Viertel war jahrzehntelang das Stiefkind Algiers. Erdbebenschäden wurden immer wieder nur notdürftig repariert. Das gleiche geschah mit den Spuren des antikolonialen Befreiungskrieges Ende der 50er-Jahre und des Bürgerkrieges in den 90ern.

Obwohl viel älter, geht die Kasbah in ihrer heutigen Form auf die Zeit der türkischer Herrschaft im 16. Jahrhundert zurück. Alle Häuser sind im gleichen Stil gebaut. Die oberen Stockwerke sind mit Holzstrukturen gestützt. Das war unter den Osmanen Vorschrift, um die Gebäude erdbebensicher zu machen. Nach außen schlicht, nach innen prunkvoll hieß die Devise der türkischen Herrscher. Von einem gekachelten Innenhof sind über Galerien alle Zimmer zu erreichen. Die Flachdächer dienen als Terrasse. Jedes Haus hat so einen Blick aufs Mittelmeer.

Mehr als Naturkatastrophen und kriegerische Auseinandersetzungen haben der Kasbah die vielen Menschen zugesetzt. Die Altstadt ist völlig übervölkert. Nach der Unabhängigkeit von Frankreich 1962 verließen fast alle Einwohner die alten Häuser und zogen in die modernen, europäischen Stadtteile, die die Franzosen verlassen hatten. Neue Landbevölkerung kam in die Kasbah. Zum Teil belegen auch heute noch bis zu einem Dutzend Personen ein Zimmer. Läden, die einst dem Kunsthandwerk dienten, wurden kurzerhand zum Wohnraum umfunktioniert. 60.000 Menschen drängen sich so auf weniger als einem halben Quadratkilometer. Der hohe Wasserverbrauch überansprucht die Kanalisation. Feuchtigkeit machte sich im Untergrund breit. Die Gebäude leiden darunter. Immer wieder wurden ganze Häuser abgerissen.

„Tagungsstätten, Musikschulen, Museen“, zählt der Architekt auf, all das soll neben dem heruntergekommenen, einst wichtigsten Gebäude neu entstehen

„Doch der Fall ist nicht hoffnungslos, denn die Kasbah ist jetzt ein Schwerkranker in Behandlung“, zeigt sich Ouagueni optimistisch. Der Eingriff hat mit radikalen Maßnahmen begonnen. „Es werden keine Abrisse mehr genehmigt“, sichert Ouagueni zu. Der Bestand soll gerettet werden. In einer genauen Untersuchung wurden 250 Häuser auf eine Dringlichkeitsliste gesetzt. Sie wurden abgestützt, um sie im Laufe eines Jahres zu sanieren. Außerdem werden alte osmanische Paläste und Moscheen wieder hergerichtet. Einige sind bereits für den Publikumsverkehr offen. Die Zitadelle, die Burg hoch oben über der Kasbah, wo Ouagueni sein Büro hat, soll in den nächsten fünf Jahren zum Kulturzentrum ausgebaut werden. „Tagungsstätten, Musikschulen, Museen“, zählt der Architekt auf, all das soll neben dem heruntergekommen, einst wichtigsten Gebäude des alten Algiers neu entstehen. Von der Schutzmauer aus beobachtet der 53-Jährige stolz den Fortgang der Arbeiten. Gelernt hat Ouagueni einst bei den Verantwortlichen für die Restaurierung der Altstadt von Bologna, dem Vordenker auf dem Gebiet der Stadtsanierung schlechthin.

Doch anders als im Italien der 70er-Jahre soll die Kasbah von Algier nicht komplett vom Staat saniert werden. „Wir wollen die Bewohner mit einbeziehen“, erklärt Ouagueni. Die Hälfte der Sanierungskosten übernimmt die öffentliche Hand, die andere Hälfte die Eigentümer der Häuser. An Geld fehlt es nicht. Algeriens Staatskassen ist dank der hohen Erdöleinnahmen übervoll.

Um Grundstücksspekulation mit der Altstadt zu vermeiden, wurde die Zusammenlegung von Grundstücken verboten. „Wir wollen keine Touristenattraktionen mit großen Hotels und Apartmenthäusern, wir wollen eine lebendige Kasbah“, beschreibt Ouagueni die Ziele seiner Behörde, die sich um die technische Beratung der Eigentümer kümmert. „Wir haben überall im Land gesucht, um traditionelle Materialien zu bekommen“, erzählt er stolz. Kacheln, die aus Ton gebrannten flachen Backsteine, Balken aus speziellen Hölzern, Tonrohre, Kalkstein für die Zubereitung von Mörtel – viel Wissen über die alte Kunst des Bauens ging in der Kasbah in den letzten Jahrzehnten verloren. „Wie in der Nachkriegszeit in Europa haben die Menschen und auch die Verwaltung nach der Unabhängigkeit nur noch auf Modernes geschaut. Jetzt besinnen sie sich zurück“, sagt Ouagueni zufrieden.