piwik no script img

Archiv-Artikel

Der vergessene Aufstand

ORTSTERMIN Beim CCC-Kongress feiern die Revolutionsrhetoriker vom „Unsichtbaren Komitee“ ihre Auferstehung. Ähm, doch nicht. Es ist nur ein schlapper Auftritt

Weil die Konservativen die Schrift schon entdeckt hatten, befeuerte auch die Linke die Debatte

AUS HAMBURG MARTIN KAUL

Man glaubt ja gar nicht, dass das Jüngelchen da vorne in dem grauen Kapuzenpullover mit dem süßen französischen Akzent einer von ihnen ist. Denn, so ist es leider: Dieser Vortrag hat natürlich alles, was eine kleine Mythologisierung braucht. Es geht um einen großen Unbekannten, eine große Revolution und irgendwie auch ein großes Comeback. „Das Unsichtbare Komitee ist zurück. Mit ‚Fuck off Google‘.“ So lautet die Ankündigung.

Und wer es verpasst hat, im Jahr 2010 dieses Buch zu lesen, das so leidenschaftlich vom „kommenden Aufstand“ schwärmte, sollte wissen: Es wurde geliebt, gehypt, vergöttert. Ein „unsichtbares Komitee“ schrieb darin in einer revolutionsschwangeren Rhetorik vom Kampf in den Metropolen, von Beschleunigung und Gegenentschleunigung, und was tatsächlich reizvoll war, war der Schwung, mit dem sich die Flugschrift weglesen ließ.

Wer am Ende angelangt war, konnte glauben, dass die Revolution auch in Westeuropa kurz bevorstand – und ausgerechnet die Feuilletonisten des gehobenen deutschen Bürgertums entdeckten die Schrift als Indiz für eine neue Radikalität, eine Theoriearbeit, die die Lehren von Marx mit den Analysen von Antonio Negri und Michael Hardt entwickelte und mit dem Pathos einer metropolesken Erzählung anreicherte. Es war eine Klolektüre für Großkapitalisten.

Erfolg? Missverständnis!

Die staunten morgens beim Stuhlgang, doch wer mal in einer Großstadt spazieren ging, konnte wissen: Es lag eine Fehlanalyse vor. Es waren den Worten kaum Taten zuzuordnen. Der Erfolg dieses Komitees war also ein Missverständnis. Doch weil die Konservativen das Buch schon entdeckt hatten, befeuerte auch die Linke die Debatte um die schöne neue Schrift.

Es gibt hier in Hamburg beim Hacker-Kongress des Chaos Computer Clubs also eine große Vorfreude auf diese Rückkehr. Doch die erste Ansage des Sprechers, der für das Unsichtbare Komitee auftritt, lautet: Entschuldigt bitte den Titel der Veranstaltung. Wir wollten nur, dass das irgendwo steht.

Es ist ja keine Bedingung und ohnehin nicht zu erwarten, dass alle Revolutionäre so etwas Banales wie Visualisierungen oder Präsentationen mit sich führen, auch wenn sich im letzten Jahrzehnt durchaus erwiesen hat, dass die großen Impulse der Gegenwart vor Publikum davon oft profitierten. Und man sollte natürlich Vortragsreisende nicht nur an ihrer Redegeschwindigkeit, an ihrem mangelnden Pathos oder auch an ihrem Vortragsstil messen, dennoch stimmt es: Schon nach zehn Minuten erheben sich die ersten und verlassen den Saal, dann kurz darauf auch die nächsten.

Da vorne liest einer einen Aufsatz vor, eine Analyse, ein bisschen so wie jene von damals. Wer später den Text noch einmal liest, kann darin jenen ergreifenden Pathos wiederentdecken, der hier abhandenkam. Vieles darin ist schön: Es geht um die Eroberung, die Virtualisierung, die Regierbarkeit des Menschen, um die Kunst des Sich-regieren-Lassens und natürlich auch darum, dass Kapitalismus der ungestörte Prozess ist, die Welt zu zerstören. Das ist natürlich überwiegend korrekt. Und doch kommt der sichtbare junge Herr auf der Bühne nicht umhin, die alten Fehleinschätzungen zu wiederholen: „Was wir erleben, ist keine massive Vertrauenskrise, sondern das Ende des Vertrauens.“ Nun gehe es darum, das historische Fenster zu nutzen, „in dem die Regierbarkeit als solche zum Scheitern gebracht werden kann.“

Wie falsch er damit liegt, zeigt jene Szenerie am Ende. Ob er wirklich nicht an politische Parteien glaubt, fragt ihn ein Mann. Nein. Ein anderer fragt nochmal nach, ob er wählen wirklich doof findet. Und das eigentliche Drama ist dann eine Rückmeldung aus dem Publikum, eine wirklich gemeine. Ein Mann fragt ihn, ob er Franzose ist. Der junge Mann in dem grauen Pullover sagt „ja“. Der Mann im Publikum sagt, dann sei sein Englisch doch wirklich gut. Es ist gemein und traurig. Doch dieser Tag zeigt: Sie hatten einfach nicht recht.