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Archiv-Artikel

„Ich sehe keinen Rollback“

BILDUNG NRW-Bildungsministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) war 2014 KMK-Präsidentin. Warum kam die Inklusion in den Schulen trotzdem nur in kleinen Schritten voran?

Sylvia Löhrmann

■ 57, war 2014 Präsidentin der Kultusministerkonferenz. Seit 2010 ist die Grüne Schulministerin in NRW.

INTERVIEW ANNA LEHMANN

taz: Frau Löhrmann, Sie waren die erste grüne KMK-Präsidentin. Welche grüne Handschrift trägt dieses Jahr?

Sylvia Löhrmann: Das ist ja ein überparteiliches Amt. Aber als grüne Kommunalpolitikerin musste ich in den 80er Jahren für den gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung kämpfen. Als KMK-Präsidentin durfte ich nun die Umsetzung dieses Rechts mitgestalten. Das war für mich eine schöne Erfahrung und zeigt, wie sehr sich einstige grüne Minderheitenpositionen inzwischen durchgesetzt haben.

Die Inklusion, also der gemeinsame Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Kindern, hatten Sie zu Beginn der KMK-Präsidentschaft als einen Ihrer Schwerpunkte gesetzt. Wie weit sind Sie gekommen?

Ziemlich weit. Wir haben Grundsatzbeschlüsse für die allgemeine und die Sonderpädagogik gefasst, die besagen, dass alle Lehrer, egal wo sie arbeiten, Basisqualifikationen brauchen, um Kinder mit unterschiedlichen Voraussetzungen zu unterrichten. Diese Standards bilden die Grundlage der Lehrerbildung in Deutschland und müssen nun mit Leben gefüllt werden.

Bisher hieß es „Lehrer kennen die sozialen und kulturellen Lebensbedingungen ihrer Schüler“, nun hat man ergänzt, dass die Pädagogen auch „Benachteiligungen, Beeinträchtigungen und Barrieren“ kennen. Wieso dauert es fünf Jahre seit Unterzeichnung der UN-Konvention, um diese drei Worte zu ergänzen?

Tiefgreifende Veränderungen, und zu denen gehört die Inklusion, gelingen erfolgreicher in kleinen Schritten und nicht als verordnete „Revolution“ von oben. Erst einmal mussten wir uns in der Kultusministerkonferenz darauf einigen, dass alle Bundesländer ihre jeweiligen Lehramtsabschlüsse gegenseitig anerkennen. Dann erst konnten wir uns auf gemeinsame Kernkompetenzen verständigen.

In den Ländern setzt doch gerade Ernüchterung ein, dass es mit der Inklusion nicht so schnell geht. Ist ja auch eine Frage des Geldes. Gibt es nicht gerade einen Rollback: zurück zum Sonderschulsystem?

Nein, ich sehe keinen Rollback. Der Ausbau der Inklusion kommt in allen Bundesländern voran. Das Tempo bestimmen die Länder, und ja, das ist zum Teil unterschiedlich. Aber auch in Südtirol oder Skandinavien, wo man schon seit 30 Jahren ein inklusives Schulsystem aufbaut, ist man immer noch nicht so weit zu sagen: Jetzt sind wir fertig. Das zeigt, wie sehr es auch um einen Perspektivwechsel geht.

Vor einem Jahr haben Sie noch gesagt, man müsse ausloten, ob nicht auch Integrationshelfer vom Bund bezahlt werden könnten. Nun ist das Grundgesetz zwar so geändert worden, dass Bund und Länder wieder stärker kooperieren dürfen – aber nicht im Bereich der Schulen. Sind Sie enttäuscht?

Ich hätte mir gewünscht, dass der Bund sich dazu durchringt, das Grundgesetz nicht nur für den Bereich der Hochschulen zu ändern. Insofern bin ich enttäuscht. Aber die Frage der Schulsozialarbeit oder Integrationshelfer ist noch nicht zu Ende diskutiert. Im nächsten Jahr wird das Bundesteilhabegesetz erarbeitet, in dem es darum gehen wird, die Lebenssituation von Menschen mit Behinderung zu verbessern. Daran wird sich auch die KMK beteiligen. Der Bund könnte übrigens schon heute Sozialarbeit für die Schulen finanzieren, aus dem Sozialetat. Dafür braucht man keine Grundgesetzänderung.