: Jurist verzweifelt am Rechtsstaat
JUSTIZ Haben zwei Polizisten einen Toten bestohlen? Polizei und Gerichte lehnen eine Ahndung ab. Doch ein Rechtsprofessor lässt nicht locker. Jetzt erhebt er Verfassungsbeschwerde wegen Willkür
FREIBURG taz | Haben zwei Berliner Polizisten einem Toten die EC-Karte geklaut? Einiges spricht dafür, doch von der Justiz hatten sie bisher wenig zu befürchten. Ein Hamburger Rechtsprofessor brachte den Fall jetzt zum Bundesverfassungsgericht.
In einem Berliner Hotel starb im Mai 2009 der Rentner Klaus Giehring an einem Herzinfarkt. Die beiden Polizisten Michael F. und Rainer E. sicherten dessen persönliche Gegenstände. Allerdings wurde mit der EC-Karte des Toten in den Wochen danach das Girokonto leergeräumt. 29.500 Euro hob eine unbekannte maskierte Person bei verschiedenen Banken rund um Hannover ab. Haben die Polizisten die EC-Karte an sich genommen und weiterverkauft? Immerhin fand sich der Fingerabdruck von Polizist F. im Adressverzeichnis des Toten, ungefähr dort, wo die PIN der EC-Karte notiert war.
Der Fall wäre längst vergessen, hätte der Verstorbene nicht einen Bruder, der einst Strafrechtsprofessor in Hamburg war. Heinz Giehring ist zwar längst emeritiert, doch der Fall lässt ihn nicht mehr los – denn der Professor beginnt am deutschen Justizsystem zu zweifeln. Im Auftrag seines Neffen, der das gestohlene Bargeld geerbt hätte, unternahm Giehring mehrere Anläufe, den Fall zu klären.
Zunächst erstatteten die Verwandten Strafanzeige gegen die Polizisten wegen Diebstahls. Doch das Verfahren wurde schnell eingestellt. Dann versuchten sie ein Amtshaftungsverfahren gegen das Land Berlin. Tatsächlich verurteilte das Berliner Landgericht 2013 den Staat zum Schadenersatz, denn die beiden Polizisten hätten zumindest fahrlässig den Verlust der EC-Karte und ihren Missbrauch verursacht. Das Urteil wurde aber nicht rechtskräftig, denn das Land ging in Berufung.
Vor dem Berliner Kammergericht sagte Polizist F. erstmals aus. Er sei erst später in das Hotelzimmer gekommen, eine EC-Karte habe er nicht gesehen. Im Adressverzeichnis des Toten habe er nur nach Hinweisen auf Angehörige gesucht. Das Gericht glaubte ihm und lehnte die Schadenersatzklage nun ab.
Im dritten Anlauf zeigten die Verwandten des Toten den Polizisten wegen uneidlicher Falschaussage an. In sechs Punkten habe dieser vor dem Kammergericht gelogen. Unter anderem könnten zwei Feuerwehrleute und zwei Rettungssanitäter bezeugen, dass Polizist F. sofort nach Öffnen der Hoteltür das Zimmer betreten hatte. Doch auch dieses Ermittlungsverfahren wird eingestellt. Es sei nicht zwingend, dass F. vor Gericht „bewusst“ falsche Aussagen gemacht habe.
In einem 69-seitigen Antrag verlangten die Verwandten nun eine Entscheidung des Kammergerichts Berlin über die Anklageerhebung. Doch das Kammergericht lehnte den Antrag im Sommer 2014 aus formalen Gründen ab. Die bisherigen Bemühungen der Staatsanwaltschaft seien nicht ausführlich genug dargestellt worden.
Heinz Giehring ist konsterniert. Er will zwar nicht von einem Polizistenbonus sprechen. Aber offensichtlich versuche die Berliner Justiz unter allen Umständen, die einmal eingeschlagene Richtung – die Polizisten ungeschoren zu lassen – zu verteidigen. „Die Justiz igelt sich ein“, sagt Giehring.
Jetzt hat er im Namen seines Neffen Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe erhoben. Die Weigerung des Kammergerichts, sich mit dem Vorwurf der Falschaussage auseinanderzusetzen, sei „willkürlich“ und verletze den Anspruch auf gerichtlichen Rechtsschutz. Der emeritierte Rechtsprofessor will nichts unversucht lassen. Es geht ihm um seinen Glauben an die Justiz.
CHRISTIAN RATH