: „Jeder weiß, dass die Preise steigen müssen“
REAKTION Die Gäste werden zweifellos auch künftig in den sächsischen Touristenort Bad Schandau kommen. Hier bereiten sich Hotels, Restaurants und Geschäfte auf die Einführung des Mindestlohns am 1. Januar vor. Es herrscht keine Panik, aber Sorge um Folgekosten
AUS BAD SCHANDAU MICHAEL BARTSCH
Wenn die Elbe von Decin kommend die Böhmische Schweiz passiert hat, weitet sich das enge Flusstal bei Bad Schandau wieder. Der malerische Kurort mit dreieinhalbtausend Einwohnern ist zugleich Verkehrsknoten und Ausgangspunkt zahlreicher Touren in die Sächsische Schweiz. Ein solcher Ort, der weitgehend vom Tourismus lebt und nur vier Kilometer von der tschechischen Grenze entfernt liegt, müsste von der bevorstehenden Einführung des Mindestlohnes für alle besonders betroffen sein, könnte man vermuten.
Im Rathaus der Stadt ist davon nichts zu spüren: Nein, es gäbe kaum Signale besonderer Belastung aus dem Dienstleistungssektor und schon gar keine Panik, berichtet Hauptamtsleiterin Andrea Wötzel.
Auch von besonderem Lohndruck durch die tschechischen Nachbarn könne keine Rede sein. Im Gegenteil, ohne tschechische Arbeitskräfte wäre die Saison gar nicht zu bewältigen, und die Nachbarn sorgten wiederum in den Läden der Stadt oder in der Toskana-Therme für Nachfrage. Höhere Preise für ein höheres deutsches Niveau in der Gastronomie würden längst akzeptiert, ist später auch von Unternehmern zu hören.
Nicht alle nehmen’s locker
Doch dieses harmonische Bild bleibt so nicht stehen. Am Markt trifft man kurz vor Weihnachten vorwiegend Einheimische. Sie rechnen mit höheren Preisen beim Bäcker, bei Taxifahrten oder bei den Übernachtungen. Ein älteres Ehepaar, das sich außerhalb der Saison hier ein paar ruhige Tage gönnt, schreckt das nicht. „Billiglöhne sind unfair“, sagt der Mann. Eine junge Frau mit Kinderwagen glaubt auch nicht, dass infolge des Mindestlohns weniger Gäste nach Bad Schandau kommen werden.
Ein anderer Gast weiß um die Schwierigkeiten der kleinen Händler oder Pensionen. „Familienbetriebe beuten sich ohnehin selber aus …“, sagt er. Dass nicht alle die Herausforderungen locker nehmen, zeigt die Reaktion der Taxizentrale am Markt. Eine telefonische Anfrage wird unwirsch abgewiesen. „Dazu geben wir keine Auskunft“, sagt die Vermittlerin und legt nach kurzer Rücksprache mit ihrem Chef wieder auf.
Die Direktorin des Parkhotels darf ohne ihren großen Chef im Westen nichts sagen. Die Verkäuferin beim Bäcker am Markt hingegen lächelt: „Ich freue mich darauf“, bekennt sie, weiß aber noch nicht, was der Mindestlohn wirtschaftlich für den Kleinbetrieb bedeutet.
Bei der Konkurrenz um die Ecke, beim Bäcker Förster, weiß man recht genau, was kommt: „Preiserhöhungen für die Kunden“, sagt die Chefin. Im Prinzip begrüßt sie die Mindestlöhne: „Das wurde Zeit.“ Ein Teil der Erhöhungen werde aber durch Steuern und steigende Preise wieder aufgezehrt, glaubt sie. Ein Anwohner von gegenüber brummelt: „Der Einzige, der sich dabei saniert, ist der Staat“, und verweist auf Steuern, Kranken- und Rentenversicherungen.
Der Paketzusteller von dpd, der gerade gestresst aus seinem Wagen springt, ist kaum ansprechbar. „Beim Mindestlohn müssen wir dann sechs Tage in der Woche arbeiten“, entfährt es ihm wütend. Er erklärt gerade noch, dass dann mit Entlassungen zu rechnen sei, die Arbeit also von weniger Mitarbeitern geleistet werden muss, bevor er im Hauseingang verschwindet.
Entlassen kann Jürgen Kopprasch vom gleichnamigen Bierstübel in seinem Familienbetrieb niemanden. „Ich habe hier einen Zettel mit Preiserhöhungen für das nächste Jahr“, sagt er und greift hinter die Theke. Dabei sei der Lohn noch das geringere Problem. Kopprasch rechnet mit höheren indirekten Kosten, „die die anderen draufhauen“, etwa bei Lebensmitteln. Und mit mehr Bürokratieaufwand, um für die Kontrollen des Zolls gewappnet zu sein.
Axel Hansmann, Chef der weit und breit konkurrenzlosen Toskana-Therme, sieht den Jahresbeginn hingegen gelassen. „Da wird auch viel Wind gemacht“, spitzt er ein bisschen Richtung Unternehmerverbände. Die Damen am Empfang des großen Wellnessbades freuen sich über mehr „Gleichberechtigung“, lagen aber bislang auch schon maximal 50 Cent unter der Mindestlohngrenze. Weniger als 10.000 Euro Mehrbelastung im Monat wird Hansmann ohne Preiserhöhungen verkraften.
In Sebnitz, zehn Kilometer oberhalb der Elbe, wird die private Taxiunternehmerin Monika Armbruszt die 24-Stunden-Rufbereitschaft unter der Woche einstellen, um die steigenden Lohnkosten zu kompensieren. Denn sie ist bei den Kilometerpreisen tarifgebunden. Die beiden Vollzeitbeschäftigten und die beiden Stundenkräfte möchte sie aber behalten, denn die Nachfrage ist da.
Mehr als ein Drittel seiner rund 130 Mitarbeiter wird vom Mindestlohn profitieren, verrät Sven Eric Hitzer. Er betreibt unmittelbar an der tschechischen Grenze das Biohotel „Helvetia“, ebenso den Weihnachtsmarkt vor der Dresdner Frauenkirche. „Jeder weiß, dass die Preise steigen müssen“, gibt Hitzer eine klare Antwort, hält aber Erhöhungen bei der Gastronomie im internationalen Vergleich für gerechtfertigt. Man könne zwar die Arbeit noch etwas effektivieren, verzichten kann und will der Unternehmer aber auf keinen seiner Mitarbeiter.
Sorge bereitet ihm, dass Bezieher höherer Einkommen – wie etwa seine Spitzenköche – ebenfalls Aufstockungen einfordern werden, um den bisherigen Abstand wieder herzustellen. Höchstens die Hälfte der Lohnerhöhungen, glaubt Hitzer, kommt wirklich bei den Geringverdienern an. „Mindestlohn bedeutet Inflation“, sagt er.