: „Hungerdesaster“
Rafaël Schneider, Ernährungsexperte der Deutschen Welthungerhilfe, fordert weniger Verbrauch im Norden
RAFAËL SCHNEIDER, 36, Referent für Entwicklungspolitik bei der Deutschen Welthungerhilfe, war von 2001 bis 2006 in Afrika.
taz: Herr Schneider, Nahrung wird knapp und teuer. Ist der Klimawandel verantwortlich?
Rafaël Schneider: Der Klimawandel bedroht vor allem die Ernten in Hochwasser- und Dürreregionen, also etwa in Bangladesch und in der Sahelzone in Afrika. Dort werden Wetterextreme wie Unwetter oder lange Trockenzeiten wahrscheinlicher. Weit weniger bedroht der Klimawandel die Ernten in den gemäßigten Breiten, auch wenn in diesem Jahr in Deutschland das Ernteergebnis zurückgegangen ist. In den gemäßigten Breiten kann die Erderwärmung sogar zu einer Ausweitung der Nahrungsmittelproduktion führen, weil neue Flächen in nördlichen oder Gebirgsregionen für die Landwirtschaft nutzbar werden.
Welchen Einfluss hat dabei der Hunger nach Bioenergie?
Einen ganz verheerenden. So werden in den Entwicklungsländern statt Getreide Ölsaaten angepflanzt, die dann bei uns im Tank landen. Damit steigen die Preise für Nahrungsmittel, die für die Armen zu teuer werden. Zudem fehlen die Flächen, auf denen die Bauern Nahrungsmittel anbauen könnten.
Gibt es konkrete Beispiele?
Schlimme Auswüchse gibt es derzeit in Angola, einem der am stärksten von Hunger betroffenen Länder der Welt. Dort wird gerade die Anbaufläche von Palmöl verzehnfacht. Das Öl wird nach Portugal exportiert, um als Biodiesel dem Treibstoff beigemischt zu werden und so die EU-Quotenvorgabe zu erfüllen.
Was wollen Sie dagegen tun?
Wir brauchen dringend eine internationale Zertifizierung für den Anbau von Kraftstoffpflanzen, der nicht auf Kosten der Nahrungsmittelproduktion gehen darf. Eine besondere Verantwortung tragen die importierenden Länder, aber auch die Regierungen der Exportnationen. Geben sie nicht der Nahrungsmittelerzeugung den Vorrang, endet die Erzeugung von Bioenergie in einem Hungerdesaster.
Gewinnen Sie den Ölsaaten auch etwas Positives ab?
Ja, wenn sie nicht vorrangig zugunsten einiger Reicher exportiert würden. Sie könnten besser den Lebensstandard vor Ort anheben. Die Bauern in den Entwicklungsländern könnten die Bioenergie sehr gut gebrauchen, um mit besseren Maschinen ihre Felder zu bewirtschaften oder öffentliche Gebäude mit Energie zu versorgen. Bauern könnten sich auch zu Genossenschaften zusammenschließen, Ölpflanzen produzieren und mit den Einnahmen die Nachfrage auf den lokalen Märkten stützen.
Was raten Sie den VerbraucherInnen in Deutschland?
Das Wichtigste ist: Energie sparen. Es hilft nichts, statt Benzin Biosprit in den Tank zu gießen und munter weiterzufahren. Denn überall, wo Energiepflanzen angebaut werden, fehlt diese Fläche für die Nahrungsmittelproduktion, von weiteren ökologischen Folgeschäden gar nicht zu reden. Wir müssen unseren Energieverbrauch reduzieren, denn auch andere Länder haben das Recht, einen höheren Lebensstandard zu erreichen.
INTERVIEW: RICHARD ROTHER