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Archiv-Artikel

Erste Frau in 228 Jahren

„Es passierte nach dem Dessert.“ Die 52-jährige Sara Danius ist sicher nicht das erste Mitglied der „Schwedischen Akademie“, das ausgerechnet beim Nobelfest einnickte. Doch sie ist die erste, die jetzt offen erzählte, was ihr da am 12. Dezember passiert war. Es war nicht etwa das Alter, das da sein Recht forderte. Nein, die Chemo. Weshalb ihr das Nobelfest-Schläfchen auch sofort verziehen wurde.

Historisch ist Danius aber vor allem aus anderem Grund. Ab Sommer wird sie „ständiger Sekretär“ der Akademie werden. Als erste Frau in deren 228-jährigen Geschichte. Wenn sich am 8. Oktober also die weiße Tür öffnet, auf die die TV-Augen der Welt gerichtet sind, um den Träger des diesjährigen Literaturnobelpreises zu erfahren, wird daraus erstmals eine Frau treten.

Dass sie irgendwann diesem Gremium angehören würde, dem sie nun nach nur einem Jahr Mitgliedschaft auch noch vorsitzen wird, hatte Danius schon vor 32 Jahren als gerade frisch gebackenes Literatur-Erstsemester ihrem Vater angekündigt. Im Scherz allerdings, als sich beide 1982 zusammen die Vorlesung des Literaturnobelpreisträgers dieses Jahres, García Márquez, im Fernsehen ansahen.

Mittlerweile ist sie Professorin für Literaturwissenschaft an der Universität Stockholm, spezialisiert auf Verfasser wie Gustave Flaubert, Marcel Proust, James Joyce und Thomas Mann. Weil „ihr Werk zeigt, wie stilistische Veränderungen mit politischen und gesellschaftlichen zusammenhängen“.

Danius’ Mutter ist Anna Wahlgren, Verfasserin umstrittener Erziehungsratgeber. Als Vorbild bezeichnet sie die verstorbene US-Autorin Susan Sontag. Ihr Lebenslauf ist bunt: So hat sie unter anderem eine Croupière-Ausbildung gemacht und war als Fellow am Wissenschaftskolleg Berlin.

Die „Akademie“ will sie nach außen mehr öffnen. Mit dem Bericht über ihre laufende Brustkrebstherapie fing sie jetzt damit auf ganz persönlicher Ebene schon mal an. „Als ich die ersten Haarbüschel im Kamm hatte, habe ich beim Friseur alles abrasieren lassen und mir anschließend ein neues Fahrrad gekauft.“ Und statt der Perücke, mit der sie ausgesehen habe „wie eine tote Angorakatze“ stehe sie jetzt zu ihrer „Fünfmillimeterstoppelfrisur“.

REINHARD WOLFF