Die Kriegsgewinnler

ABGEZOCKT Wem half der 11. September? Wer nutzte die Anschläge politisch aus? Wer wurde reich? Eine Typologie der 9/11-Profiteure

ILLUSTRATION CHRISTIAN BARTHOLD

Die Zweifler

■  Wer: Thierry Meyssan, Alex Jones, Andreas von Bülow und all die anderen, die mit der Verbreitung der These, die USA selbst hätten die Anschläge des 11. September durchgeführt, ihr Geld verdienen. Dazu gehören in Deutschland auch die Autoren Mathias Bröckers und Gerhard Wisnewski, in Dänemark der Professor Niels Harrit und in den USA die Macher des Internetfilms „Loose Change“, vor allem Regisseur und Produzent Dylan Avery.

■  Wie: Ausgangspunkt ihrer Thesen sind stets echte oder vermeintliche Widersprüche in der „offiziellen“ Darstellung der Ereignisse, ob nun der schnelle Einsturz der Hochhäuser, das nicht sichtbare Flugzeug im Krater in Shanksville oder das Versagen der Luftabwehr. Zusammen mit einem unterstellten Interesse der US-Regierung an der Schaffung von Kriegsgründen wird daraus die These vom selbst inszenierten Anschlag. Wichtigstes Sprachrohr der Szene in den USA ist Alex Jones. Seine Radiosendung wird von 60 US-Sendern übertragen. Viele Prominente waren schon in seiner Show. Seit 2001 war Jones bei über 20 Filmen Produzent oder Regisseur. Er betreibt mehrere Websites wie www.infowars.com, vertreibt erfolgreich DVDs und Bücher. Und Mathias Bröckers hat es mit seinem jüngsten 9/11-Buch in die Bestsellerränge geschafft.

■  Perspektiven: bestens. Die anfängliche Unwilligkeit der US-Regierung, überhaupt eine Untersuchungskommission einzuberufen, und erst recht die für alle Welt erkennbaren Lügen vor dem Irakkrieg haben dafür gesorgt, dass immer mehr Menschen der damaligen Regierung einfach alles zutrauen.

Die Despoten

■  Wer: Usbekistans Staatschef Islam Karimow, Afghanistans Präsident Hamid Karsai, Irans Ministerpräsident Mahmud Ahmadinedschad, Russlands Ministerpräsident Wladimir Putin und all die anderen, die die allgemeine Geringschätzung von Menschenrechten und demokratischen Prinzipien oder die geopolitische Lage im „Krieg gegen den Terror“ zur Festigung ihrer Macht benutzen. Dazu gehörten auch die meisten arabischen Regierungen, deren Kooperation im Westen stets höher bewertet wurde als die Einhaltung demokratischer und menschenrechtlicher Standards im Innern. Und natürlich: China, das zwar einerseits als größter Gläubiger der USA mit deren wirtschaftlicher Lage verkoppelt ist, als weltpolitischer und vor allem weltwirtschaftlicher Player aber von der selbstzerstörerischen Politik der USA nach 9/11 profitiert hat.

■  Wie: Usbekistans ewiger Herrscher Karimow entledigte sich mithilfe der USA seiner islamistischen Widersacher im eigenen Land. Als wichtiger Partner des Westens in der Region führte nicht einmal das Massaker von Andischan 2005 zu einer langfristigen Beeinträchtigung der Beziehungen. Wladimir Putin konnte seinen blutigen „Kampf gegen den Terror“ unbehelligt von Kritik weiterführen und Russlands Demokratie weiter aushöhlen, und der Iran sah seine Position in der Region durch die Ausschaltung des Erzrivalen Irak klar gestärkt. Afghanistans Staatschef Karsai hat mit offenem Wahlbetrug seine Position gehalten, verdient an Drogenhandel und Korruption fleißig mit – und bleibt doch Partner des Westens.

■  Perspektiven: weiterhin gut.

Die Neokonservativen

■  Wer: Condoleezza Rice, Richard Cheney, Donald Rumsfeld, George W. Bush und all die anderen Mitglieder und führenden Köpfe der Bush-Regierung, die den 11. September 2001 benutzten, um lang gehegte Pläne in die Tat umzusetzen und ihre politische Macht zu festigen. Zu ihnen gehören auch Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz, Präsidentenberater Richard Perle, Vizeaußenminister Richard Armitage, der Vizepräsidenten-Stabschef Lewis „Scooter“ Libby, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und der spätere UN-Botschafter John Bolton – allesamt aus der neokonservativen Schule und Unterstützer des Zusammenschlusses „Project for the New American Century“.

 Wie: Schon im Jahr 2000 hatte diese Gruppe eine drastische Erhöhung der Militärausgaben und eine Modernisierung der Streitkräfte gefordert, mit dem Ziel, an mehreren Fronten gleichzeitig Krieg führen zu können. Als potenzielle Feinde werden Irak, Iran und Nordkorea genannt – die später von Präsident Bush als „Achse des Bösen“ bezeichnet werden sollten. Und bereits 1998 hatte eine Gruppe um Wolfowitz, Perle, Rumsfeld und Armitage Präsident Clinton zu einem Angriff auf den Irak aufgefordert. Nach 9/11 begann sofort die Aufrüstung der Streitkräfte als auch die Planung des Irakkriegs.

■  Perspektiven: Durchwachsen. Einerseits sind die Neocons aus der Regierung verschwunden, andererseits lebt ihr Werk bis heute weiter. Und selbst die Tea-Party-Bewegung, die sonst auf allen Ebenen Ausgabenkürzungen des Staats fordert, will den Militäretat nicht antasten.

Die Sicherheitsdienste

■  Wer: Erik Prince, Chef des Unternehmens Blackwater (das heute XE Security heißt), die britische Aegis und all die anderen Sicherheitsfirmen, deren Auftragslage seit den Anschlägen des 11. September explodierte.

■  Wie: Einerseits wurden nach den Anschlägen weltweit die Sicherheitsbestimmungen im Luftverkehr verschärft. Auf den meisten Flughäfen der Welt sind private Sicherheitsfirmen im Auftrag zuständig. Dazu kommen verschärfter Objekt- und Personenschutz. Und: Auch in den Kriegsgebieten Irak und Afghanistan sind etliche, teilweise originär militärische Aufgaben an private Sicherheitsfirmen ausgegliedert, selbst in der Bewachung sogenannter Terrorgefangener. Mit dem Abzug eines Großteils der US-Truppen aus dem Irak im vergangenen Jahr ist die Washingtoner Auftragsvergabe für Privatfirmen noch einmal explodiert.

■  Perspektiven: ausgezeichnet.

Die Rechtspopulisten

■  Wer: Geert Wilders, Vorsitzender der niederländischen „Partei für die Freiheit“, Thilo Sarrazin, dessen Buch „Deutschland schafft sich ab“ die Bestsellerlisten eroberte und eine erbitterte Diskussion auslöste, und all die anderen Rechtspopulisten, die seit dem 11. September ihre Ausländerfeindlichkeit als „Islamkritik“ verbrämen. Darunter Timo Soini von den „Wahren Finnen“, Siv Jensen von der norwegischen Fortschrittspartei, Pia Kjærsgaard von der dänischen Fortschrittspartei, Jimmie Åkesson von den Schwedendemokraten und Stefan Herre, Begründer des islamfeindlichen Blogs „Politically Incorrect“.

■  Wie: Angst vor dem Fremden gab es natürlich schon vor dem 11. September, doch erst die Anschläge, ausgeführt von Leuten, die in Europa gelebt und scheinbar integriert studiert hatten, hat diese Angst zur Hysterie werden lassen, die Furcht vor Moscheebauten geschürt und den Rechtsparteien Wahlerfolge beschert. Dabei geht deren Einfluss über die Prozentzahlen an der Urne hinaus: Etliche ihrer von Ressentiments geprägten Ansichten und Forderungen spiegeln sich in veränderter Programmatik insbesondere konservativer Traditionsparteien.

 Perspektiven: Schwer einzuschätzen. Der Konflikt hat sich verselbstständigt, die Parteien etabliert, es braucht keine neuen Anschläge. Allerdings: Jede neue Terrorwarnung, jede abgefangene Paketbombe schürt die Angst. Europas Einwanderungsnationen führen eine verspätete Selbstverständnisdebatte – und bis sich da eine Gelassenheit einstellt, werden die Rechtspopulisten noch punkten können.