: Der Müllfresser mit dem Flohpelz
Biodiversität ist ja schön und gut. Aber bei der Ratte hört der Spaß auf. Milliarden der Plagegeister fressen Felder kahl und übertragen Krankheiten. Wo bleiben die Feinde?
Im September will die Bundesregierung ihre Biodiversitätsstrategie vorstellen. Und im Mai 2008 streitet die UNO über Tier- und Pflanzenschutz. Denn in den nächsten 100 Jahren werden 30 bis 50 Prozent aller Arten ausgestorben sein. Trotzdem mal ehrlich: Es gibt auch Arten, die gern verschwinden dürften. Mit der Serie „Kreaturen, die die Welt nicht braucht“, macht die taz der Evolution ein paar Vorschläge. Mehr Kreaturen finden Sie unter www.taz.de/kreaturen
FRANKFURT/MAIN taz ■ Die Schweiz ist ein sauberes Land: Die Abfuhr der abschließbaren Mülltonnen funktioniert vorbildlich; die Abwasserkanäle werden gründlichst gereinigt; und die „Kehrwägli“ sind rund um die Uhr im Einsatz. Und dennoch: Auch in der klinisch reinen Schweiz wimmelt es vor Ratten. Mehr als zehn Millionen sollen es nach Schätzung des Landeskammerjägerverbandes sein, vornehmlich Wanderratten, die sich rasant vermehren. Das macht knapp vier Millionen mehr Ratten als Eidgenossen.
„Ekelerregende Viecher“ seien diese Ratten, konstatierte das Schweizer Käseblatt Blick wahrheitsgemäß, als es jüngst über eine Rattenplage in Basel berichtete, die auf ein Rheinhochwasser folgte: „Braun, fett und mit dem Schwanz gegen einen halben Meter lang.“ Bei Hochwas- ser werden sie richtig sichtbar. Dann kommen sie aus ihren Löchern.
Aktuell leidet China unter einer Rattenplage von apokalyptischer Dimension. Alleine in der Provinz Hunan fielen mehr als zwei Milliarden Ratten über fruchtbares Ackerland her und fraßen alles kahl. Kein Wunder, denn die natürlichen Feinde der Ratte haben es schwer in China: Das Fleisch und die Innereien von Schlangen und Eulen, beides professionelle Rattenjäger, werden in der traditionellen chinesischen Medizin verarbeitet – unter anderem zu „Medikamenten“ zur Behandlung von Impotenz, wie der WWF moniert. Gut für die Ratten: Denn eine Schlange verschlingt laut WWF in ihrem Leben bis zu 400 Ratten, eine Eule frisst sogar 1.500.
Weibliche Wanderratten werfen bis zu sieben Mal im Jahr gut ein Dutzend Junge, die dann nach zwei bis drei Monaten selbst geschlechtsreif werden und Nachkommen produzieren. Ein Rattenpärchen bringt es so auf bis zu 900 Kinder und Enkelkinder pro Jahr.
Auch hierzulande steigt die Zahl der Ratten seit Jahren kontinuierlich an: In der Wegwerfgesellschaft finden sie überall genügend Müll zu fressen. In Deutschland ist Berlin nicht nur die Hunde-, sondern auch die Rattenkapitale der Republik. Wie viele es genau sind, weiß man beim Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales nicht zu sagen. Doch nirgendwo sonst finden so viele Kampfeinsätze gegen Ratten statt wie in den Kellern von Berlin. 2006 waren es fast 50.000 – Tendenz steigend. Bei rund 30 verendeten Tieren pro erfolgreichem Rattengifteinsatz macht das 1.500.000 tote Ratten pro Jahr in Berlin.
Aber beängstigend viele Millionen, vielleicht sogar Milliarden Ratten leben weiter unter uns. Sie übertragen Bakterien wie Salmonellen oder Listerien, die Magen- und Darmerkrankungen verursachen. Auslöser von Pestepidemien wie noch im Mittelalter sind Ratten, beziehungsweise ihre Flöhe, in Europa zwar nicht mehr. Doch ein Rattenbiss kann zu Rattenfieber führen. An der Bissstelle entsteht dann ein Geschwür, die lokalen Lymphdrüsen schwellen an. Danach verläuft die Krankheit fieberhaft mit Hautausschlägen und polyarthritischen Erscheinungen.
Rattenjäger? Irgendwie ein sympathischer Beruf mit Zukunft.
KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT