: Ölmetropole wird Chaosmetropole
Krieg auf Nigerias Ölfeldern: In Port Harcourt, der wichtigsten Stadt des Ölgebietes, ufert die Gewalt trotz eines massiven Militäreinsatzes weiter aus. Was als Revolte gegen die Ölförderung begann, ist ein unkontrollierter Bandenkrieg geworden
AUS LAGOS HAKEEM JIMO
Mit einem offenen Krieg in Port Harcourt, der größten Stadt der Ölgebiete Nigerias, hat die Gewalt im Niger-Flussdelta eine neue Dimension erreicht. In der Zwei-Millionen-Stadt herrscht seit einer Woche nächtliche Ausgangssperre, aber gegen den eskalierenden Machtkampf richtet das wenig aus. Täglich werden neue Tote gemeldet, nachts sind Granateneinschläge zu hören.
Mit automatischen Waffen, Panzerfäusten und Dynamitstangen gehen die jugendlichen Anhänger rivalisierender Milizen aufeinander los. Bevor vorletzte Woche die Armee einrückte, fuhren tagelang keine öffentlichen Transportmittel mehr, Bandenmitglieder auf Motorrädern übernahmen die Herrschaft über die Straßen und steckten zahlreiche Gebäude in Brand sowie eine Tankstelle.
Für Nigerias neuen Präsidenten Umar Musa Yar’Adua ist die Gewalt in Port Harcourt seine erste große Feuerprobe. Nach seiner umstrittenen Wahl Ende April hatte er das Ende der Gewalt in Nigerias Ölgebieten zu seiner Priorität erklärt. Er streckte die Fühler in Richtung der Rebellen aus, die die Ölförderung immer wieder lahmlegen, und entließ ihren wichtigsten Führer Mudjahid Dokubo-Asari aus der Haft. Aber die Gewalt nahm seither eher noch zu und hat mit dem ursprünglichen Ziel der Rebellen, mehr Autonomie zu erkämpfen, nichts mehr zu tun.
Bewohner Port Harcourts sagen, jetzt kämpften Banden um die Vorherrschaft in der Stadt. Der Kommandeur der Eingreiftruppe der Armee sagte, es ginge um die Kontrolle des illegalen Benzinschmuggels. Ähnlich äußerte sich die Landesregierung im Bundesstaates Rivers, in dem Port Harcourt liegt. Immer wieder behaupten Landespolitiker in den Ölgebieten, dass die Rebellen auf den Ölfeldern eigentlich als Frontmänner für Organisatoren eines gigantischen Ölschmuggels arbeiten, die in der Hauptstadt Abuja selbst sitzen. Dieser Schmuggel hat sich in den vergangenen Jahren zu einem Multimillionengeschäft entwickelt, womit leicht modernste Waffen gekauft werden können.
Als Reaktion auf den Machtkampf zwischen den Banden schickte der neue Präsident zuerst seine Geheimdienste los, die prompt örtliche Politiker verhafteten, weil sie angeblich die Gewalt orchestrierten. In den frühen Morgenstunden des 16. August schließlich rückten Soldaten mit Kampfhubschraubern und gepanzerten Fahrzeugen in Port Harcourt ein. Im Zuge der Militärintervention starben etwa drei Dutzend Menschen, fast 100 wurden verletzt. Die Soldaten errichteten in der ganzen Stadt Straßensperren. Leute mussten mit erhobenen Armen aus den Fahrzeugen steigen. Wer ab Beginn der Ausgangssperre um 19 Uhr auf der Straße vom Militär angehalten wird, muss jetzt damit rechnen, bis zu 500 Naira (drei Euro) an die Soldaten zu zahlen. Deshalb lassen viele Firmen ihre Mitarbeiter schon ab 16 Uhr nach Hause gehen.
Ein halbes Jahr soll dieser Militäreinsatz dauern, was die ohnehin geringe Loyalität der Bürger gegenüber dem nigerianischen Staat weiter strapaziert. Vor allem einige traditionelle Herrscher aus dem Bundesstaat fordern jetzt aber sogar einen umfangreichen Ausnahmezustand.
Der Gewalt auf den Straßen von Port Harcourt ging eine beispiellose Entführungswelle voraus. Seit Anfang vergangenen Jahres wurden über 200 Ausländer in der Region entführt, zumeist in der Ölbranche. Eine lukrative Lösegeldindustrie entstand. Ausländer verlassen in Scharen die Region, und inzwischen suchen sich die Kidnapper andere Opfer: Zuletzt entführten sie den 2-jährigen Sohn eines Dorfältesten, eine 3-jährige Tochter eines Briten, einen 11-jährigen Sohn eines Landesparlamentariers. Auch die Mütter eines anderen Landesabgeordneten und eines Parlamentspräsidenten wurden entführt.
Die neu aufgeflammte Gewalt in Port Harcourt trotz des Militäreinsatzes bedeutet, dass Präsident Yar’Adua langsam die Optionen ausgehen. Seine Hoffnung, dass der einstige Chefrebell Mujahid Dokubo-Asari die Milizen unter Kontrolle bringen könnte, hat sich zerschlagen. Nachdem er von der Regierung auf freien Fuß gesetzt wurde, hören offensichtlich die meisten Kämpfer nicht mehr auf ihn. Er wurde angeblich jüngst überfallen und sein Auto los, heißt es in Port Harcourt. Die wichtigste militante Gruppe des Nigerdeltas nennt Dokubo-Asari inzwischen eine Marionette der Regierung.