: Nahostkonflikt auf der Bühne: ein Kampf
Festivalauftakt Mit einem Stück der Theatertruppe „Freedom Theatre“ aus dem Westjordanland begann am Donnerstag das internationale Jugendtheater-Festival „Explosive“ im Kulturzentrum Schlachthof
Kaum haben die Zuschauer auf den harten Bänken im Kulturzentrum Schlachthof Platz genommen, ertönen Schüsse. Schauspieler gehen zu Boden, die Nebelmaschine läuft auf Hochtouren, hüllt die Bühne in weißen Dampf. Hinauf zum Publikum dringt ohrenbetäubendes Geschrei, das während der nächsten Stunde in unterschiedlichen Ausprägungen immer wieder zu hören sein wird.
Die Eröffnung des diesjährigen Jugendtheater-Festivals „Explosive“ mit dem Stück „Sho Kman? – Was noch?“ am Donnerstag ist alles andere als leise über die Bühne gegangen. Mit dem jungen Theaterkollektiv „Freedom Theatre“ aus der palästinensischen Stadt Jenin im Westjordanland haben die Organisatoren des Festivals den Nahostkonflikt ins Haus geholt – denn nichts Geringeres haben die jungen Schauspieler auf der Bühne thematisiert. Da stritten, schlugen, schrien junge Männer mit- und aufeinander, schimpften oder predigten in der Theatersprache „Gibberish“ – ein einziger Kampf entfaltete sich vor den Augen der Zuschauer.
„Es ist wichtig, das politische Moment des Theaters zu zeigen“, sagt Tobias Pflug, künstlerischer Leiter des Festivals. Mit gleich zwei Stücken greift das diesjährige Programm von „Explosive“ ethnische Konflikte auf. Während es in „Sho Kman?“ um die Schrecken der Gegenwart geht, thematisiert das „Zagreb Youth Theatre“ im Stück „Generation 91-95“ am kommenden Dienstag das Trauma des Jugoslawienkrieges.
Trauma schwang sicherlich auch im Stück des Theaterkollektivs aus dem Westjordanland mit. Erst im April dieses Jahres kam dessen Leiter, der israelische Schauspieler und Regisseur Juliano Mer-Khamis, durch ein Attentat ums Leben. Verstörend ist die enorme Aggressivität, mit der die jungen Schauspieler, die den Nahostkonflikt selbst erleben, die Bühne für sich einnehmen. Sie scheint der Ausgang- und Mittelpunkt des Stückes zu sein, das so brutal mit Schüssen beginnt, Gewalt gegen sich und andere immer wieder vorführt.
Mädchen oder junge Frauen standen nicht mit auf der Bühne, obwohl das „Freedom Theatre“ grundsätzlich mit beiden Geschlechtern arbeitet. Die Gründe dafür kennt der Festivalleiter Tobias Pflug nicht. Er vermutet, dass anfangs auch Frauen mitgespielt haben.
Den Festivalgästen schien das Stück zu gefallen: Es gab am Ende tosenden Applaus. Und ein paar Zuschauer ließen von der Tribüne eine palästinensische Flagge herunterhängen. „Das war nicht geplant“, sagt Pflug, sei aber ebenfalls ein „Moment, der im Theater möglich sein sollte.“
Julia Rotenberger