Das Herz des deutschen HipHop

MUSIK BESETZEN Aus einem rechten Schimpfwort für Linke einen positiven Kampfbegriff machen – darauf setzen TickTickBoom bei ihrer Einladung zur Zeckenrap-Gala mit Konzert und Workshops ins SO36 am Wochenende

TickTickBoom, das ist der Versuch, politische Inhalte in den Rap zu kriegen

VON THOMAS WINKLER

Gemeinsam ist man stark. Alte Idee, nicht eben wahnsinnig progressiv, aber auch heute oft noch überraschend effektiv. Gewerkschaften funktionieren so, Gangs auch, Fischschwärme sowieso, selbst so Modernitäten wie Flashmobs oder Occupy. Und TickTickBoom eben auch. „Wenn wir zusammen das SO36 voll machen“, sagt Pyro One, „dann erregt das mehr Aufmerksamkeit und ist ein stärkeres Signal, als wenn einer von uns fünf Mal hintereinander in einem kleinen Club spielt.“

Das SO36, da muss man kein Prophet sein, wird wieder voll sein am kommenden Samstag, wenn TickTickBoom zu ihrer Zeckenrap-Gala laden. Langsam darf man bei der Veranstaltung von einer mit Tradition sprechen. Die Gala, bei der neben dem Berliner Rapper Pryo One wohl nahezu alle der mehr als 20 Mitglieder des linken HipHop-Netzwerkes an einem Abend auf die Bühne gehen, findet im dritten Jahr statt. 2014 platzte das SO36 aus den Nähten.

Messe für linke Rap-Musik

Wären TickTickBoom nicht ausdrücklich antikapitalistisch eingestellt, könnte man die Zeckenrap-Gala als ihr Leuchtturm-Event bezeichnen. Dieser Leuchtturm steht nun vor einer umgreifenden Renovierung. Erstmals wird das Event nur in Berlin stattfinden, nicht mehr in Hamburg wie in den vergangenen Jahren. Dafür wird die Gala, früher ein langer Konzertabend mit Dutzenden von Künstlern, nun zur zweitägigen Messe für linke Rap-Musik ausgebaut.

Bereits am Freitag findet im Südblock eine Podiumsdiskussion statt, gefolgt von einem ersten Konzert. Eingeladen sind Deutschrap-Pioniere wie Kutlu Yurtseven (Microphone Mafia) oder Hannes Loh (Anarchist Academy). Ganz bewusst versucht TickTickBoom mit solchen Gästen einen Bogen zu schlagen in die Frühzeit des deutschen HipHop, die geprägt war von einem sehr viel politischeren Ansatz.

Für den Samstag haben TickTickBoom Workshops organisiert „zu den Themen Rappen und Texten, Freestylen, Beats bauen, Scratchen, Konzerte organisieren, Grafik und Design, barrierereduziertes Veranstalten“. Parallel erscheint die von TickTickBoom herausgegebene Broschüre „Deutschrap den Deutschen?“, in der auf gut 40 Seiten versucht wird, deutschnationale und nazistische Tendenzen im deutschen HipHop zu dokumentieren und zu analysieren.

Fremd im eigenen Haus

Herzstück der Veranstaltung aber bleibt die Gala. Dabei sind dann neben den beiden Berlinern Pyro One und Kobito auch die der linken Szene ähnlich bekannte Hamburger Band Neonschwarz mit dem Rapper Captain Gips und der Sängerin Marie Curry, Musikproduzenten wie LeijiOne, der an der Grenze zum AgitProp-Liedermacher agierende Refpolk oder die Rapperin Sookee aus Berlin, die dank ihrer rhetorischen Fähigkeiten, akademischen Bildung und radikalfeministischer Überzeugungen zu einer beliebten Gesprächspartnerin des Feuilleton geworden ist.

Gefunden hat sich TickTickBoom Ende 2012 nach einem Festival in Nürnberg. Der Name spielt an auf „tick“, das englische Wort für Zecke. Zusammengeschlossen zum losen Netzwerk hat man sich aus dem Gefühl heraus, dass einen ähnliche Probleme umtreiben. Nämlich: sich bisweilen fremd zu fühlen in einem Musikgenre, in dem homophobe, sexistische und rassistische Inhalte nicht nur an der Tagesordnung sind, sondern mitunter sogar als besonders krasse Argumente in der dem HipHop eigenen Wettbewerbs-Kultur firmieren.

„Wir haben uns oft wie die ungebetenen Party-Gäste gefühlt“, sagt Pyro One. Deshalb dient TickTickBoom mit seinen Rappern, Produzenten, DJs, Veranstaltern und Grafikern aus Hamburg, Bremen, Nürnberg und Berlin, so formuliert es Kobito, auch als „eine eigene Blase, in der wir uns zuhause fühlen können“.

TickTickBoom, das ist einerseits, so Kobito, „musikalischer Freundeskreis“, aber eben auch „der Versuch, politische Inhalte in den Rap zu kriegen“. Dieser Versuch endet allerdings allzu oft im selbstgewählten Ghetto. Denn in einer HipHop-Szene, die sich selbst gern als unpolitisch sieht, gibt es nur wenige, die es wagen, das Stigma „Linker Rap“ auf sich zu nehmen. Wenn sich ein Rapper als politisch versteht, wird das in den einschlägigen Szenemedien oder den subkulturellen Internetforen schnell als Ablenkung interpretiert: Der kann nicht rappen, heißt es dann, deshalb macht er auf politisch. Das vernichtendste Urteil: Den Polit-Rappern fehlen die Skills, die technischen Fertigkeiten des HipHop.

Auf diese Kultur spielt Sookee an, wenn sie rappt: „Deutscher Rap ist wie ein Gulag: Unterdrückung und Bestrafung.“ Das Zitat stammt aus dem Track „Wissen wer die Zecken sind“ vom ersten TickTickBoom-Album „Herzschlag“. Das steht seit einem Jahr umsonst oder gegen eine Spende im Internet als Download zur Verfügung, die Vinyl-Ausgabe kann man bestellen. Die Strategie, die TickTickBoom dem Rap-Gulag entgegen zu setzen versuchen, ist die Umdeutung vom Schimpfwort „Zecke“ zu einem positiven Kampfbegriff – ganz so, wie es einst der Homosexuellenbewegung mit „schwul“ gelang. Die Zeckenrap-Gala ist das öffentlichkeitswirksameste Mittel dieser Umdeutungsstrategie.

In Tracks wie diesem und vielen anderen thematisieren die TickTickBoom-Rapper immer wieder das Unverständnis und das Desinteresse, denen man als politisch denkender Mensch, als bekennender Linker gar in der HipHop-Szene begegnet.

Auf Krawall setzen

„Wir sind ja offen für Kritik, aber einen echte Auseinandersetzung fehlt völlig“, sagt Kobito. Er Pryo One erzählen von Veranstaltern, Labelmanagern und vor allem Redakteuren von Rap-Magazinen und -Webseiten, von denen sie entweder niedergemacht oder gar nicht erst wahrgenommen werden. „Ein strukturelles Problem im deutschen HipHop“ diagnostiziert Kobito: „Das liegt auch daran, dass Rap-Medien in Deutschland wie die Bild-Zeitung funktionieren. Die wollen vor allem eins: Krawall. Also präsentieren sie am liebsten den extrem sexistischen Grenzüberschreitungs-Rap, mit dem man viele Klicks generiert.“

Dass der HipHop, selbst ausdrücklich linker, eine Männergesellschaft ist, das müssen aber auch TickTickBoom feststellen. Mit Sookee und Marie Curry sind gerade mal zwei Frauen in dem Netzwerk aktiv.

Auch Migranten sind – im Gegensatz zum Mainstream-Rap – unterrepräsentiert. „Uns ist schon klar, dass wir momentan noch eine männerdominierte Kartoffeltruppe sind“, gibt Pyro One zu, „aber umso wichtiger ist es, dass der Zugang niederschwelliger wird.“ Auch dazu sollen die Workshops der Zeckenrap-Gala dienen, mit der TickTickBoom im Laufe dieses Jahres auch in die ostdeutsche Provinz ziehen wollen. Dorthin, wo nicht nur Unverständnis und Ignoranz auf linke Zecken wartet, sondern auch der eine oder andere Neonazi. Genau dorthin also, wo man besser gemeinsam stark ist als allein und verloren.

■ 9. 1., 20 Uhr, Podiumsdiskussion 23 Uhr, Konzert, im Südblock, Kreuzberg

■ 10. 1., 11–18 Uhr, Workshops, Schule für Erwachsenenbildung, Kreuzberg, 20 Uhr, Zeckenrap-Gala mit TickTickBoom u. a. im SO36

www.ticktickboomcrew.de