: „Die waren wie vom Donner gerührt“
Der Verkehrsclub Deutschland kritisiert den Umweltsenator für seinen laxen Umgang mit der Lärmbelästigung
ULRICH DRAUB, 68, vom VCD ist Maschinenbau-Ingenieur im Ruhestand und war lange in der Bremer Umweltbehörde tätig
taz: Herr Draub, neulich hat der Umweltsenator den Lärmatlas vorgelegt. Wo ist es demnach am lautesten in Bremen?
Ulrich Draub: Ich vermute, das wird der Rembertiring sein, jedenfalls war er das früher immer, und das dürfte sich kaum geändert haben. Allerdings kann man aus dem Lärmatlas noch keine Schlussfolgerung darüber ziehen, wie laut es wo in Bremen ist, weil dem Atlas noch wichtige Informationen fehlen.
Zum Beispiel?
Die Integration des Schienenverkehrs vor allem, weil die Deutsche Bahn mit den Daten noch nicht rüber gekommen ist. Das ist übel, denn ohne den Eisenbahnlärm ist so ein Atlas natürlich unvollständig. Die Europäische Union hat gefordert, dass die verschiedenen Lärmquellen zusammen betrachtet werden müssen, um zu einem klaren Ergebnis zu kommen. Der Lärmatlas gibt also zur Zeit nur an, wie hoch die Belastung durch verschiedene Lärmquellen ist – aber nicht den Lärm insgesamt. Und in den Stadtteilen, durch die Eisenbahnen fahren, dürfte sich das Bild stark verändern, wenn auch diese Daten vorliegen.
Die aber bald schon wieder hinfällig sein werden ...
... ganz genau. In den nächsten Jahren wird der Güterverkehr immens zunehmen. Projekte wie der Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven machen Bremen immer mehr zum Transitland. Und da wird viel über die Schiene laufen. Im Lärmatlas fehlt aber noch etwas: In Bremen hätte auch der Freizeitlärm berücksichtigt werden müssen – das wurde von der EU aber freigestellt.
Denken Sie an Samstagnachmittage?
Richtig. Wenn Werder spielt, dann ist das für die Menschen, die in der Nähe des Stadions wohnen ja nicht nur eine Belästigung durch Verkehrslärm, sondern auch durch die Stadionatmosphäre.
Sie wollen wohl jeden Lärm verbieten?
Das geht natürlich nicht. Wir suchen einen sinnvollen Kompromiss zwischen Gesundheitsschutz und der Vitalität einer Stadt. Wir müssen daran denken, dass Lärm krank machen kann.
Der Umweltsenator nennt als Lärmobergrenze 70 Dezibel. Ist das Ihnen zu laut?
Das ist so ein Wert, der schon sehr lange als Obergrenze gilt, er ist wahrscheinlich älter als Sie und ich zusammen. Aber schon ab 50 Dezibel bekommen lärmempfindliche Menschen Kreislaufprobleme, die gar nicht selten zu Herzinfarkten oder anderen Erkrankungen führen. Experten gehen davon aus, dass 30 bis 40 Prozent der Gesamtbevölkerung lärmempfindlich sind.
Was fordern Sie?
Als Kompromiss schlagen wir 65 Dezibel tagsüber vor. Das macht schon einen ziemlichen Unterschied aus und ist in vielen Fällen hilfreich.
Wie laut ist das?
Stellen Sie einen Staubsauger auf die unterste Stufe und gehen Sie einige Meter weit weg, das entspricht 65 Dezibel. Wenn Sie sich dabei unterhalten wollen, werden Sie merken, dass das immer noch störend ist. Aber schon besser als 70 Dezibel.
Sie mahnen auch den Schutz und Erhalt bislang ruhiger Gebiete an.
So steht es auch in der EU-Richtlinie. In der Umweltbehörde waren sie geradezu vom Donner gerührt, als sie das erfahren haben. Den Schutz ruhiger Bereiche gibt es nach deutschem Recht noch gar nicht. In Zukunft muss das aber bei der Stadtplanung berücksichtigt werden. Das ist ein echter Fortschritt, dank der EU. Bislang ging es nur um die Bekämpfung vorhandenen Lärms.
Der Lärmatlas soll Grundlage für Lärmschutzmaßnahmen sein. Deren Finanzierung aber ist noch unklar. Was schlagen Sie vor?
Dann müssen wir mal weniger Straßen bauen. Das macht keinen Lärm und spart Geld, das in den Lärmschutz fließen kann. Da muss man ganz neu denken. In Deutschland wurde bislang viel zu wenig gegen den Lärm getan. Das wird sich in Zukunft hoffentlich ändern. Interview: fez