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Archiv-Artikel

Tabakindustrie bezahlt Forscher

Einer Studie zufolge halfen zwei ehemalige Uni-Rektoren aus Bremen mit gut dotierten Gutachten der Zigarettenhersteller, die Schädlichkeit des Rauchens in Frage zu stellen. Seine Forschung sei nicht beeinflusst worden, sagt einer der Wissenschaftler

MILLIONEN FÜR LOBBY-FORSCHUNG

Nach einer Klage von 40 US-Bundesstaaten musste die amerikanische Tabakindustrie ab 1998 wegen „systematischer Verharmlosung des Rauchens“ 200 Milliarden US-Dollar Entschädigung zahlen. Zudem war sie gezwungen, ihre gesamten Firmenunterlagen öffentlich zugänglich zu machen. 40 Millionen interne Dokumente sind seither online verfügbar. Diese besagen, dass der „Verband der Cigarettenindustrie“ von 1977 bis 1992 60 deutschen Wissenschaftlern fast 120 Forschungsprojekte bezahlte. 1992 stellte der VdC dafür über 2,7 Millionen Mark bereit. Laut „Deutschem Ärzteblatt“ verfolgte die Tabakindustrie mit dem Forschungs-Sponsoring vier Ziele: „1. Erzeugung von Forschungsergebnissen zur Verwendung gegen Erkenntnisse über die Gesundheitsschäden des Rauchens, 2. Steigerung der Glaubwürdigkeit der Tabakindustrie, 3. Gewinnung von renommierten Wissenschaftlern zur Unterstützung der Interessen der Tabakindustrie, 4. Einflussnahme auf die Gesundheitspolitik.“ CJA

VON CHRISTIAN JAKOB

Zigaretten werden immer weniger schädlich, höhere Tabaksteuern erhöhen das Krebsrisiko – Bremer Wissenschaftler haben mit ihrer Forschung zur Verbreitung solcher Propaganda beigetragen. Das haben Sozialforscher im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation (WHO) jetzt herausgefunden.

Das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg und andere Institute analysierten für die WHO die Forschungen deutscher Mediziner im Auftrag des „Verbandes der Cigarettenindustrie“ (VdC). Im April berichtete das Fachmagazin Forum Gesundheitspolitik, dass auch Gutachten von zwei Mathematikern aus Bremen darunter waren.

Unter dem Titel „Trendanalysen zum Problem des Verbrauches an Nikotin“ hatte der ehemalige Rektor der Uni Bremen, Jürgen Timm, die Änderung der Rauchgewohnheiten untersucht. Timm fand folgendes heraus: Zwar sei der durchschnittliche Zigarettenkonsum von 1961 bis 1975 von 15 auf 21 Zigaretten am Tag gestiegen. Weil „die Zigaretten des Jahres 1975 aber erheblich leichter“ seien, entspreche dies einer faktischen Senkung der Schadstoffaufnahme. Das Rauchen, so der nicht formulierte, aber nahegelegte Schluss, sei also gesünder geworden.

Der Zigarettenkonzern Philip Morris schlachtete noch ein anderes Ergebnis von Timms Studie aus: „Wie in vorherigen Untersuchungen zeigt sich ein Trend zum Abrauchen auf kürzere Stummel, wenn der Cigarettenpreis steigt“, stellte der Konzern erfreut fest – obwohl sich dieser Befund nur für einen kurzen Zeitraum aus Timms Zahlen ergibt.

Für den VdC war der Beleg für diese vermeintliche Banalität Munition in einer knallharten politischen Auseinandersetzung um die steigende Tabaksteuer. 1972, also mitten in Timms Untersuchungszeitraum, stieg der Zigarettenpreis wegen einer Steuererhöhung von 9,1 auf 11 Pfennig. Für die Tabak-Konjunktur war das Gift.

Als 1982 die Steuern erneut drastisch angehoben wurden, gab der VdC das Timm-Gutachten in Auftrag. Aus Timms Zahlen ließ sich ablesen, dass der durchschnittliche Raucher in den drei Jahren nach der Steuererhöhung von 1972 mehr als einen Millimeter mehr von seiner Zigarette rauchte. Da der hintere Teil der Zigarette besonders viele Schadstoffe enthält, so deutete die Tabaklobby die empirische Erkenntnis, erhöhe das steuerbedingt geänderte Rauchverhalten das Krebsrisiko. Anfang 1985 kassierte der spätere Universitäts-Rektor für die Studie laut VdC 13.800 Mark.

Methodisch, so einer der WHO-Forscher, sei Timm nichts anzulasten, seine Ergebnisse an sich nicht zu beanstanden. Doch habe die Tabaklobby, wie immer wenn sie eine Studie in Auftrag gebe, diese zur Verharmlosung der tödlichen Risiken des Rauchens nutzen können. Zudem habe Timm es unterlassen, in seinem Paper den Financier der Studie zu nennen, wie es „gute akademische Praxis“ sei.

Auch der Bremer Mathematiker Karl-Heinz Jöckel erhielt Anfang der neunziger Jahre 110.000 Mark vom VdC. Zu dieser Zeit war Jöckel stellvertretender Leiter des „Bremer Institutes für Präventionsforschung und Sozialmedizin“ (BIPS), einer als besonders industriekritisch bekannten Einrichtung. In seiner „Pilotstudie zu arbeits- und umweltbedingten Risikofaktoren für Lungenkrebs“ fand Jöckel heraus, dass das Saarland besonders geeignet für eine Groß-Studie über Lungenkrebs-Ursachen jenseits des Rauchens wäre. Die Studie – auch sie methodisch sauber – wurde vom VdC bezahlt, um die öffentliche Identifikation von Lungenkrebs mit Tabak-Konsum aufzuweichen, glauben die WHO-Forscher.

Für das darauffolgende Jahr plante der VdC sogar 1,8 Millionen Mark für eine Folgestudie ein, die von Jöckel geleitet werden sollte. In einer Art Personalakte des VdC notierten die Lobbyisten nach einem Gespräch handschriftlich Anmerkungen über Jöckel, der später Rektor der Universität Duisburg-Essen wurde, und nun den dortigen Fachbereich für Medizin leitet: „ins Geschäft“, stand da in krakeliger Handschrift, „nicht anti“ – was wohl „nicht gegen die Tabakindustrie eingestellt“ heißen sollte – aber auch „möglicherweise zu schlau“ – in der Zwischenzeit hatte Jöckel in einer anderen Studie alarmierende Erkenntnisse über das Passivrauchen publiziert. Aus den VdC-Millionen für die Saarland-Studie wurde dann nichts mehr.

Ein Fehler, sagt Jöckel, sei die Annahme der Forschungsgelder nicht gewesen: „Solange der Geldgeber keinen Einfluss auf die Forschung nimmt, ist es eigentlich egal, woher die Mittel kommen. Und beeinflusst hat uns der VdC nie.“ Das Forschungsergebnisse propagandistisch missbraucht werden könnten sei „klar“, schmälere jedoch den objektiven Erkenntnisgewinn nicht, findet Jöckel.