: Stillstand der Andächtigen
ZEITLUPE Jeder Ton ist wichtig: Bohren & der Club of Gore sind Meister des musikalischen Stillstands und wirkungsvolles Antidot gegen das lärmende Getriebe der Welt
VON BENJAMIN MOLDENHAUER
Gut ist, wenn nichts ist. Kein Lärm, kein Gewese, die Menschen halten andächtig still und hören zu. Erst in diesen so raren und kostbaren Momenten kommen wir zu uns selbst, während ansonsten die einverleibte Außenperspektive uns geißelt, das ununterbrochene Ein- und Abschätzen, die ständige Evaluation. Wer zum Stillstand aus eigenen Kräften schon nicht mehr in der Lage ist, dem kann geholfen werden. Die Musik der Mülheimer Band Bohren & der Club of Gore kann dazu beitragen, dass eifrig rotierende Selbst in stabile Rückenlage zu bringen.
Vom Bandnamen eventuell zuerst nahegelegte Assoziationen – eine semi-avancierte Black-Metal-Kapelle aus der Provinz oder etwas in der Art – führen in die Irre. Bohren & der Club of Gore feilen seit nun schon fast 25 Jahren an einer monolithischen Düsterjazz-Ästhetik, die in ihrer Konsequenz tatsächlich, hier stimmt das Wort ausnahmsweise einmal, einzigartig geblieben ist. Die Snare raschelt präzise, aber gleichgültig den Takt, der Bass macht Brumm, Piano und Saxofon spielen melancholische, aber abgeklärte Melodien, die man sich nicht merken kann, was gut ist, denn man muss sich ja eh schon immer so viel merken.
Mit der ersten Platte „Gore Motel“ wurschtelte die Band 1994 noch im Referenzsystem von Splatterfilmen, B-Movies und generell Trash-Ästhetik herum und spielte eine Art verlangsamte Incredibly Strange Music, Stücke trugen Titel wie „Dandys lungern durch die Nacht“, „Dangerflirt mit der Schlägerbitch“ oder „Die Fulci-Nummer“. Zwei Jahre später erschien mit dem Doppelalbum „Midnight Radio“ bereits die Platte, mit der die bis heute gültigen Koordinaten des Bohren-Kosmos fixiert wurden.
Die Taktfrequenz der gern auch mal zwanzigminütigen Stücke war beeindruckend niedrig, und man möchte nicht der sein, der diese Klänge fabriziert: „Wenn man so wenig spielt, ist jeder Ton wichtig. Das Arbeiten an den Stücken ist wirklich körperlich anstrengend“, erzählte der Saxofonist Christoph Clöser 2005 der taz. Später wurde die Musik zugänglicher. „Black Earth“ und „Sunset Mission“ rehabilitierten Tenor-Saxofon und Fender Rhodes auch bei Leuten, die Sunn-O)))- oder Neurosis-Shirts tragen. Auf „Geisterfaust“ wurde es dann noch einmal äußerst minimalistisch. Seitdem kümmert man sich um stetige Ausdifferenzierung und testet die Zeitlupenpotenziale einzelner Instrumente aus.
Mit dem letzten Album „Piano Nights“ schaffte man es auf diesem Weg bis in die deutschen Charts, irgendwo in die Nähe von Platz 40 immerhin. Ein kleines Wunder, das Hoffnung keimen lässt.
Für die Gehetzten mag das alles nur ereignisarm wirken. Ich wiederum lerne Bands und Musiker, deren Stücke ich nicht auseinanderhalten kann, mehr und mehr zu schätzen. „Diese Band muss keine schon längst durchexerzierten Semiotiken mehr verdichten“, schrieb Andreas Hartmann einst in der Spex, noch müsse sie „doomiger doomen als alle anderen, sie ist nicht mehr so mit dem Fremdzitieren beschäftigt, sondern mehr mit der eigenen Funktionsweise“. Die Künstler selbst sehen es entspannt: „Vieles, was uns nicht gefällt am Leben, wird erträglich durch das, was wir machen. Nebenbei sind wir auch davon überzeugt, dass es uns überdauert.“
Dass das auch live funktioniert, hat mich bei meinem ersten Bohren-&-der-Club-of-Gore-Konzert damals in der Bremer Schauburg überrascht. Es funktioniert – so lange die Umstehenden nicht anfangen, Hektik zu verbreiten. Erst wenn ansonsten Ruhe ist, entfaltet die stoische Repetition eine eigenartige Vielschichtigkeit. Sobald alles passt, schimmert diese Musik so prachtvoll wie eine verschlierte Glühbirne, nachts an einem verlassenen Autobahnrastplatz im Ruhrgebiet. Dann passiert mehr, als man beim oberflächlichen Hören vielleicht annehmen mag.
Auch wenn Bohren & der Club of Gore – abgesehen von einer Kollaboration mit Ex-Faith-No-More-Sänger Mike Patton vor ein paar Jahren – instrumental agieren, erzählen Stücke wie „Still am Tresen“, „Ganz leise kommt die Nacht“ oder „Verloren (alles)“ ganze Geschichten; nur muss halt jeder selbst wissen, um was es ihm im jeweiligen Stück geht.
Wer aber meint, diesen andächtigen Stillstand auf Konzerten stören zu müssen, weil er schlicht nicht anders kann, als mit dem Smartphone herumzufuchteln und sich unablässig bemerkbar zu machen, der soll verflucht sein bis in alle Ewigkeit. In der Hölle ist noch Platz.
■ Freitag, 20 Uhr, Lagerhaus