: Sicherheit, welche Sicherheit?
ANSCHLAG IN PARIS
Der wichtigste Satz steht gleich zu Beginn der Pressemitteilung des Innensenators. „Die Behörden äußern sich aus gutem Grund nicht zu konkreten Schutzmaßnahmen“, vermeldete Frank Henkel (CDU) am Donnerstag, ziemlich genau 24 Stunden nach dem Anschlag auf die Redaktion der Satirezeitung Charlie Hebdo in Paris. Zwölf Menschen wurden dabei kaltblütig erschossen, vermutlich von zwei Islamisten.
Man hat Henkels ersten Satz leicht überlesen, nicht nur, weil ihm noch gut 15 weitere folgen (das sind ungewöhnlich viel). Sondern vor allem, weil er von einem „guten Grund“ spricht, den er aber wie selbstverständlich nicht weiter erläutert. Wissen wir also, was der gute Grund ist? Nein. Genauso wenig, wie wir wissen, was Sicherheit ist. Klar ist nur – und das ist natürlich ein Allgemeinplatz: Absolute Sicherheit kann es nicht geben.
Die nächste Frage ist: Wollen wir wissen, was der gute Grund ist? Nicht abstrakt, sondern konkret? Oder ist es für unser Sicherheitsgefühl in einer europäischen Großstadt nicht viel, viel angenehmer, wenn uns nicht bekannt ist, welche Gefahr und welche Gewalt vom Sicherheitsapparat befürchtet, angenommen, vielleicht sogar erwartet wird? Weil der Spaß am Leben in Berlin leidet, wenn es im Hinterkopf nur noch um Befürchtungen und Sorgen geht.
Für viele Menschen in der Stadt war der Anschlag gar kein Grund zur akuten Sorge. Zum einen, weil er in Frankreich stattfand, zum anderen, weil er offensichtlich gezielt war, auf Journalisten. Zumindest für Letztere aber hatte das konkrete Auswirkungen: Ebenfalls seit Donnerstag stehen Polizeiwagen vor den Redaktionen. Freie Presse unter Polizeischutz: Ist es schon so weit, fragen sich viele Kollegen. Und: Handelt es sich um eine Maßnahme zur Beruhigung, oder verstärken die drei Beamten vor der taz nicht eher die Angst? Aus gutem Grund?
In Paris, London und Madrid hat es in der jüngsten Vergangenheit Anschläge radikaler Religiöser gegeben, in Berlin nicht. Und wenn alles so weitergeht wie bisher, bleibt das auch so; wird sich die gefühlte Sicherheit wieder auf das Level vor Charlie Hebdo heben. Man wird sich vielleicht mit einem Lächeln an all die oben aufgeworfenen Fragen erinnern und sagen: So schlimm war es ja dann nun auch wieder nicht. Was soll man auch anderes sagen, wenn man den Grund nicht kennt? BERT SCHULZ