: Siemens steigt endgültig aus
ENERGIE Deutschlands größter Industriekonzern verabschiedet sich von der Atomtechnik und stoppt das Joint Venture mit Rosatom – mit Verweis auf die fehlende Akzeptanz
SIEMENS-CHEF PETER LÖSCHER
VON MALTE KREUTZFELDT
BERLIN taz | Ende einer Ära: Der Siemens-Konzern steigt komplett aus dem Geschäft mit Atomtechnik aus. „Das Kapitel ist für uns abgeschlossen“, sagte der Vorstandschef Peter Löscher dem Spiegel. Der Plan, nach dem Ausstieg beim bisherigen Partner Areva ein Joint Venture mit dem russischen Staatskonzern Rosatom zu starten, werde nicht weiter verfolgt. Grund für die Entscheidung, so Löscher, sei „die klare Positionierung von Gesellschaft und Politik in Deutschland zum Ausstieg aus der Kernenergie“ nach der Reaktorkatastrophe in Japan. „Fukushima gab dem atomaren Restrisiko ein Gesicht.“
In der Vergangenheit war Siemens ein großer Akteur in der Atombranche. Alle deutschen Reaktoren wurden von der Siemens-Tochter Kraftwerk Union gebaut, zudem mehrere ausländische Reaktoren. In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre entwickelte Siemens zusammen mit dem französischen Atomkonzern Framatome einen neuen Reaktortyp, den sogenannten Europäischen Druckwasserreaktor (EPR); 2001 wurden die Atomsparten der beiden Unternehmen unter dem Namen Areva NP zusammengelegt. Der Plan, mit dem EPR gemeinsam Weltmarktführer zu werden, funktionierte aber nicht: An den ersten beiden Standorten, im finnischen Oikiluoto und im französischen Flamanville, konnten die Kosten und der Zeitplan bei Weitem nicht eingehalten werden. Zwei weitere Reaktoren sind in China im Bau, andere Projekte sind noch ungewiss. Nach Streit über Einfluss und Strategie hatte Siemens 2009 den Ausstieg aus Areva NP und eine Zusammenarbeit mit Rosatom verkündet. Doch das gestaltete sich schwierig: Siemens durfte dem bisherigen Partner zunächst keine Konkurrenz machen und wurde von einem internationalen Schiedsgericht im Mai dieses Jahres verurteilt, für den Ausstieg eine Vertragsstrafe von 680 Millionen Euro an Areva zu zahlen.
Künftig will Siemens mit der Nukleartechnik nichts mehr zu tun haben. Lediglich konventionelle Dampfturbinen, die auch in Gas-, Kohle- und Solarthermiekraftwerken zum Einsatz kommen, sollen weiterhin auch für AKWs geliefert werden. Ansonsten setzt das Unternehmen verstärkt auf erneuerbare Energien. Die Energiewende sei „das Jahrhundertprojekt der Deutschen“, sagte Löscher. „Siemens arbeitet daran voll mit – auch mit einer steten Weiterentwicklung der Technologien.“ Der Konzern stellt vor allem Windkraftanlagen für die Nutzung im Meer her; auch bei solarthermischen Kraftwerken ist Siemens aktiv.
Atomkraftgegner, die in der Vergangenheit versucht hatten, Siemens mit einer Boykottkampagne unter Druck zu setzen, begrüßten die Entscheidung des Unternehmens, aus der Atomtechnik auszusteigen. Allerdings sei es inkonsequent, dass der Konzern weiterhin Turbinen und Generatoren für AKWs liefern wolle, sagte Jochen Stay von der Initiative „ausgestrahlt“. „Am Ende macht es keinen Unterschied, ob das Unternehmen am nuklearen oder konventionellen Teil eines Reaktors beteiligt ist.“
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