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Archiv-Artikel

„Die Antifeministen dominieren“

DEKONSTRUKTION Für die Piraten zählt das Individuum. Das Geschlecht spielt keine Rolle. Was so fortschrittlich klingt, geht in der Praxis nach hinten los, sagt Genderberaterin Regina Frey

Regina Frey

■ 45, Politologin, leitet das „Gender-Büro“ in Berlin. Dort berät und evaluiert sie Organisationen, die geschlechterpolitisch sensibler werden wollen. Sie bloggt unter genderbuero.blogspot.com

taz: Frau Frey, die Piraten haben die Geschlechter restlos dekonstruiert, sie spielen keine Rolle mehr für die Partei, behaupten sie. Ist das nicht schön?

Regina Frey: Ja, großartig. Nur leider nicht real. Auf ihrer Berliner Landesliste ist unter 15 Personen eine Frau. Geschlecht als Kategorie ist offensichtlich sehr wirkungsmächtig in der Partei.

„Wo kein Geschlecht, da keine Diskriminierung“, meinen die Piraten, ist das nicht logisch?

Das ist ein Kurzschluss. Damit werden nur alle gesellschaftlichen Strukturen ignoriert, die diskriminierend wirken. Das wissen die Piraten auch, darauf nehmen sie auch Bezug. Ihre Geschlechterpolitik ist bisher, gelinde gesagt, nicht schlüssig.

Sie selbst arbeiten auch an der Dekonstruktion von Geschlecht, was machen Sie anders?

Ich versuche auch, auf eine Welt hinzuarbeiten, in der es egal ist, ob man alt oder jung, groß oder klein, männlich oder weiblich ist. Wir sind aber leider noch nicht so weit. Und bis dahin brauche ich Geschlecht als Strukturkategorie, um zu verstehen, wo Diskriminierungen liegen und sie dann auch abzubauen.

Was würden Sie den Piraten denn empfehlen?

Erst einmal sollten sie professionell mit Diskriminierungen umgehen. Es gibt Strategien und Methoden, Chancengleichheit umzusetzen, damit könnten die Piraten sich mal beschäftigen.

Da könnte es dann um Frauenförderung gehen, das mögen die Piraten nicht.

Ja, Gleichstellung wird auf die Quote reduziert und dagegen gibt es viel undifferenzierte Polemik. Aber es gibt auch einige Aktive mit sehr differenzierten und progressiven Vorstellungen. Innerhalb der Partei gibt es eine große Kontroverse zum Thema, was gut ist. Leider wird sie teilweise polemisch geführt, gerade aus der Männer-AG heraus.

Klingt, als brauchten die Piraten dringend eine Quote.

In der jetzigen Struktur der Partei als Netzwerkpartei ist es schwierig, eine Quote einzuführen. Das ist ja ein Instrument von oben. Und die Partei ist derzeit nicht so gestrickt, dass sie die Quote für sich als sinnvolles Instrument nutzen könnte.

Was könnte man statt der Quote geschlechterpolitisch machen?

Die Piraten könnten sich zum Beispiel fachlich mit Geschlechterstrukturen in IT-Berufen befassen. Die geschlechterstereotype Berufswahl ist ja mit ein Grund, warum in der Piratenpartei so wenig Frauen sind.

Stattdessen arbeitet die AG Männer mit den Männerrechtlern von Agens und Manndat zusammen, die Männer vor allem als Opfer von Frauenpolitik thematisieren.

Das ist ein großes Problem für die Partei. Diese AG widerspricht komplett dem postmodernen Ansatz des Programms. Die Partei macht sich mit dieser AG für die rechte Szene anschlussfähig. Man kann mit einem Klick von der Seite der AG Männer zu dem ultrarechten Organ „eigentümlich frei“ gelangen. Ich lese Ihnen das „Zitat des Tages“ dieser Seite vor: „Die muslimische Invasion Europas brächte nicht nur Nachteile: Feminismus, Gender Studies und Regietheater würden immerhin verschwinden.“ Diese antifeministische Gruppe ist derzeit sehr sichtbar bei den Piraten. Dort sind jene, die eine geschlechterpolitisch ausdifferenzierte Haltung haben, derzeit wohl in der Minderheit.

Für wie feministisch halten Sie die Frauen in der Partei?

Ich kann das nur anhand der Reaktionen auf meinen Blog einschätzen. Da gab es ein breites Spektrum. Frauen, die gendertheoretisch sehr fit sind, und Frauen, die das Thema für erledigt halten. Ich habe auf meinen kritischen Beitrag zu ihrer Geschlechterpolitik die recht flapsige Antwort einer Frau bekommen, dass man ja keine Frau zwingen könne, bei den Piraten mitzumachen. Es gibt auch Antiquotenfrauen: Wir haben das nicht nötig und wir diskriminieren niemanden. Sie übersehen, dass Diskriminierung sehr subtil stattfindet, oft über einen bestimmten Habitus und die Auf- und Abwertung bestimmter Männlichkeits- und Weiblichkeitsmuster. Sie führen dazu, dass sich bestimmte Menschen von den Piraten angesprochen fühlen oder eben nicht. Darüber nachzudenken, würde Männer und Frauen in der Partei weiterbringen.

INTERVIEW: HEIDE OESTREICH