: „Die Rechten sind hier“
Wenn es um Neonazis geht, ist schnell vom Osten die Rede. Doch die NDR-Dokumentation „Ein Dorf zeigt Mut“ über Rieseby an der Schlei zeigt: rechte Umtriebe gibt es überall. Und im Fall von Rieseby mitunter auch Widerstand dagegen
von JAN FREITAG
Hier ist es ruhig, hier ist es idyllisch. Hier hat der Dorfschlachter fünf Sterne und die Windmühle noch Flügel, hier sind die Radwege kornblumengesäumt, hier spricht der Bürgermeister Platt. „Ach, de poor fün dennen“, sagt Johann Kempe und im Hintergrund zwitschern die Vögel, „dei givt dat doch in jedem Dörp.“ Im Klartext: Die Pampa hält sich naturgemäß ein paar Neonazis.
Ein rechtes Problem aber, fügt der Ortsvorsteher von Rieseby mit schleswig-holsteinischer Gelassenheit hinzu, ein extremes gar, nein, das gäbe es nicht. So was hat man irgendwie alles schon mal gehört, dieses „nicht bei uns“, der Abwehrimpuls, die täten ja nichts, die wollen bloß spielen. In Rieseby ist es wie überall in der Republik: Ob Mügeln oder Guntersblum, Sachsen oder Rheinland-Pfalz, Ost oder West – die Rechten, die sind immer woanders.
Nein, sagt dagegen Bernd Jacobsen, frisch pensionierter Schulrektor der kleinen Gemeinde in Ostseenähe, die sind hier, bei uns, in großer Zahl zudem, „und es werden immer mehr“. Ein Geständnis mit Seltenheitswert. Rieseby, das Postkartenmotiv an der Schlei, bekennt sich zu einem Phänomen, dem man im ländlichen Teil der Republik am liebsten durch grummeliges Wegschauen begegnet und im städtischen durch kosmopolitische Arroganz. Rieseby aber bekundet die braunen Umtriebe im Ort und das haben sie nun davon, die aufrichtigen der 2.600 Bewohner: Einen Dokumentarfilm über die rechte Szene vor Ort, entstanden nicht durch ihre Besonderheit, sondern im Gegenteil: ihre Normalität. Vor allem aber deren Bruch.
Denn vor gut einem Jahr wurde Andrea Jedich weniger auf den rechten Spuk aufmerksam, als vielmehr auf die nachfolgenden Austreibungsversuche: „Ein Dorf, das freiwillig den Finger hebt“, erinnert sich die Autorin an erste Presseberichte aus Rieseby, „das hat uns interessiert“. So sehr, dass die eifrige NDR-Redakteurin eine Langzeitstudie über das verschlafene Nest mit dem dänischen Namen drehte. „Ein Dorf zeigt Mut“ heißt er. Klingt schmeichelhaft. Doch den Zuschauern dürfte vor allem der Untertitel im Gedächtnis bleiben: „Wie Rieseby sich gegen Rechtsextremisten zur Wehr setzt“.
Rechtsextremisten. Neonazis. Derlei Tabubegriffe trieb Rieseby voriges Jahr auf die Barrikaden, nun ja: zunächst mal an einen runden Tisch, „Aktionskreis Rechtsradikal“ genannt – wir sind schließlich in einem Dorf mit tourismusgerechter Optik, fortschreitender Überalterung, schweren Entertainmentdefiziten und einer Art kulturkreistypischem Bodenhaftungskonservatismus. „Die Linken sind viel schlimmer“, sagt Bürgermeister Kempe zur taz, „diese Vermummten, alles Kommunisten“.
Und oft erwächst daraus Ignoranz gegenüber den Agitationserfolgen der NPD auf Riesebys Hauptschulhof, den rechten Dresscodes beim Dorffest, dem Szenetreff des bekannten Kameradschaftskaders Dieter Kern im Nachbarort. Alles Unsinn? Gerede? Verleumdung? Im Film sitzt Bürgermeister Kempe zwischen Zierkissen mit Knick und Wachstischdecke vor seinem Haus und geht in die Vorneverteidigung seiner Heimat. „Durch die ganzen Aufbauschungen“, sagt der grauhaarige Freizeitpolitiker, „ist der ja erst auf uns aufmerksam geworden.“ Eine gewagte These über Dieter Kern, der seit seiner Vertreibung aus Heilshoop vor den Toren Lübecks von Kempes Gemeinde aus Ratten fängt. Erfolglos, behauptet der Bürgermeister. Denn inzwischen, so Kempe, habe Kern gemerkt, dass „hier in Rieseby kein Blumentopf zu gewinnen“ sei. Die Schere zwischen Wahrheit und Deutung, Ursache und Wirkung, Wissen und Gewissen – sie geht immer weiter auseinander. Auch in Rieseby. Aber hier regt sich wenigstens Widerstand innerhalb der Bevölkerung.
Und dennoch gerät der Film nicht zur Jubelpose über aufrechte Bürger, sondern zum Stittengemälde der deutschen Provinz, die so viele in ihren Köpfen tragen. Da ist die kämpferische Mutter des bräunlichen Schülersprechers, die eine Anzeige gegen den eigenen Sohn erwägt und lautstark gegen rechte Gesinnungen ankämpft, während der Kieler Innenminister, ein Sozialdemokrat, ihre Gefahr als harmlose Dorfnorm abtut. Da sind der alternde Schuldirektor beim akribischen Dokumentieren rechter Propaganda per Digicam und die Stadtfestfeiernden der Elterngeneration im albernen Kostüm beim Abstreiten rechter Präsenz. Da freut sich der Pastor über einen kollektiv verhinderten NPD-Infostand, will aber mit auswärtigen Antifas nichts zu tun haben. Da sind die Exbürgermeisterin (SPD) auf Konfrontations- und ihr CDU-Nachfolger auf Verständnis-Kurs Richtung rechter Rand.
Da sind also überall Widersprüche und Gräben, aber eben auch ein Handeln, immerhin. Als vorigen Samstag 500 Demonstranten durch den Ort zogen, stammte die Hälfte von ihnen aus Rieseby. Jeder Zehnte also. Keine schlechte Quote, aber absolut zu wenig für den Aufstand der Anständigen. Es gilt schließlich tiefe Gräben zu überbrücken. Der Bürgermeister jedenfalls hat einer Informationsveranstaltung am 13. September mit taz-Autor Andreas Speit ebenso die zugesagten Räumlichkeiten entzogen wie einem Musikfestival gegen Rechts zwei Tage später. Sonst müsse er ja auch den Rechten welche geben, lautet Johann Kempes Logik. Riesebys Kampf gegen Rechts, er hat gerade erst begonnen.
„Ein Dorf zeigt Mut“: heute um 22.30 Uhr im NDR-Fernsehen. Auch im Radioprogramm NDR Info läuft heute eine Sendung zum Thema Rieseby und der Rechtsextremismus. Beginn: 20.30 Uhr