: Babylon, das verfickte Soziotop
Culcha Candela kultivieren die babylonische Sprachverwirrung in ihrer Heimatstadt Berlin. Sechs Sänger und Rapper reimen auf Deutsch, Spanisch, Englisch oder Patois. „Hamma“, die Single ihrer neuen Platte, stürmte schon die Charts
VON THOMAS WINKLER
So ungefähr muss es damals gewesen sein, beim Turmbau zu Babylon. Viele Sprachen und noch mehr Stimmen, kein Fußvolk, stattdessen nur Wortführer, die selten einer Meinung sind. Es muss mitunter ganz schön anstrengend sein, Culcha Candela zu sein. Die Anstrengung aber lohnt sich dieser Tage. „Hamma“, die aktuelle Single, schoss aus dem Stand an die Spitzenposition der deutschen Charts, und vom neuen, dritten Album, das ganz schlicht „Culcha Candela“ betitelt ist, darf sich die Berliner Band Ähnliches erhoffen. Und wer Erfolg hat, so heißt es, der hat auch recht. Im Falle von Culcha Candela stellt sich dann nur die Frage: Wer genau? Während Bands gewöhnlich ein einziges Sprachrohr vorschicken, besteht die Band aus einem DJ und sechs Sängern und Rappern, die allesamt das Talent zur Rampensau haben und gern ihre Ansichten mitteilen.
So ist es nicht einfach, den Überblick zu behalten bei Culcha Candela. Der kleinste gemeinsame Nenner ist nicht ihr Ding, die große Vielfalt ihr Prinzip. Die sieben Mitglieder haben Wurzeln in Kolumbien, Korea, Polen, Uganda und Deutschland, und in ein und demselben Song wird Deutsch, Spanisch, Englisch oder Patois gesungen und gerappt. Inhaltlich stehen Party-Songs gleichberechtigt neben Sozialkitsch, und musikalisch kommt mitnichten nur Reggae zum Einsatz, wie ein Großteil der Öffentlichkeit glaubt, sondern eben auch HipHop, Salsa und noch mehr Südamerikanisches. Für das neue Album habe man, erzählt Kollege Mr. Reedoo, ganz bewusst verschiedene Produzenten engagiert, um „noch mehr Abwechslung zu schaffen“.
Immerhin sei bei den Arbeiten für „Culcha Candela“, ergänzt Lafrotino, „das Gerangel lange nicht so krass“ gewesen wie früher einmal. Jede weitere Einschätzung aber ist umstritten: So gibt Itchyban zu Protokoll, man sei grundsätzlich ernster geworden, während Mr. Reedoo findet, das sei man doch schon immer gewesen. „Wir wollen aber auch keine deprimierenden Tunes machen“, fasst Larsito zusammen, „im Endeffekt wollen wir unterhalten.“ So findet also in „Tara“ jemand seinen verlorenen Bruder, werden in „African Children“ die Zustände auf dem schwarzen Kontinent beklagt und in „Revolution“ die erbärmliche Weltlage. Das alles sicherlich etwas oberflächlich, aber, glaubt Reedoo, „wir können ein Publikum erreichen, das von Lehrern oder den Medien nicht mehr erreicht wird“.
Der Erfolg aber gründet sich weiter vor allem auf ihrem Talent als Party-Band: „Mit uns ist immer Summertime“ heißt es selbstsicher in „A Who“. Früher reimten sie „Brumm, brumm, der Party-Bus geht rum“, nun haben sie endgültig alle Hemmungen abgelegt: Mit dem Refrain „Du bist hamma, Mamma“ schaffen sie es gar auf Platz eins der deutschen Single-Charts und den Kehrreim von „Chica“ haben sie aus einem Porno-Film geklaut: „Ey, du geile Sau / Ich hab, was du brauchst“. Trotzdem ist man endlich „nicht mehr nur die lustige Truppe“, so Reedoo, sondern hat sich einen Status erspielt und kann trotz der Größe der Band von den Auftritten gut leben. Die herausragende kulturelle Leistung dieser Marke bleibt aber wohl bis auf Weiteres ihre bloße Existenz. „Nicht der Vorzeige-Ausländer-Soliverband“ sei man, „sondern der aktuelle Stand von einem neuen Deutschland“, wird auf dem Album getextet. „Wir leben da was vor, ich sehe das definitiv als Experiment“, erklärt Reedoo. „Wir müssen keine Songs gegen Rassismus machen, guck uns doch an. Wir sind als Gruppe schon politisches Statement“, findet Itchyban. „Wir repräsentieren das moderne Deutschland“, sagt Larsito, „das ist uns immer bewusst, wenn wir unterwegs sind.“
Und das sind sie viel. Sie sind aufgetreten in Kolumbien und Honduras und in fast ganz Europa. Jetzt, da der deutsche Markt erobert scheint, ist die Perspektive eine internationale. Und das babylonische Sprachengewirr wird beim „verfickten Soziotop“, wie Itchyban Culcha Candela auch nennt, demnächst noch vielfältiger werden: Er arbeitet jetzt an polnischen Reimen.
Culcha Candela: „Culcha Candela“ (Homeground/ Universal)