: Die Sanften
Wo ein Muslim und eine Christin ihre Liebe zueinander leben dürfen: Den Bahai liegt Sittenstrenge fern. Der Bahaismus verbindet die drei Weltreligionen zu einem offenherzigen Glauben. Ein Besuch im einzigen Bahai-Tempel in Afrika
■ Der Gründer: Die Anhänger folgen den Lehren des Baha Ullah genannten Religionsstifters Mirsa Husain-Ali Nuri. Er lebte von 1817 bis 1892. Er floh vor der Verfolgung in seiner Heimat Persien und verbreitete die Lehren in der Welt.
■ Der Glaube: Die Bahai glauben an einen universellen Gott und die Einheit der Religionen und der Menschheit. Es ist eine monotheistische Religion, die Elemente des Christentums, des Islam und des Judentums verbindet.
■ Die Gemeinschaft: Die Bahai sind eine der jüngsten und am schnellsten wachsenden Religionen mit etwa 5 bis 8 Millionen Anhängern. Es gibt weltweit neun Tempel der Andacht. Der europäische Tempel befindet sich in Frankfurt. In Deutschland leben ca. 6.000 Bahai. Der afrikanische Tempel ist in Uganda, dort gibt es rund 10.000 Bahai. (sms)
AUS KAMPALA SIMONE SCHLINDWEIN (TEXT) UND YANNICK TYLLE (FOTOS)
Alle neun Türen des Tempels sind weit geöffnet, der Wind weht durch das einer Kathedrale ähnelnde Gebäude. Draußen nieselt es leicht, es riecht nach feuchter Luft und den tropischen Blumen im Tempelgarten. Ein Kind singt ein Lied, die sanfte Stimme hallt im Gewölbe wieder. Es ist ein friedlicher Moment an diesem Sonntagmorgen, auf einem Hügel am Rand von Ugandas Hauptstadt Kampala. Dunst erhebt sich über der Großstadt, von Weitem ist der Verkehrslärm zu hören. Doch hier oben, in diesem lichtdurchfluteten Tempel, ist alles ruhig und still. Bis auf die Kinderstimme.
Das Haus der Andacht, wie dieser Tempel von den Anhängern des Bahaismus genannt wird, ist ein Ort der Besinnung. Er steht jedem offen, auch den Nichtgläubigen, sogar Touristen kommen hier vorbei. Mit seinen bunten Glasfenstern, der Kuppel und der europäisch anmutenden Bauweise sticht er aus dem Häusermeer von Kampala hervor. Der Bahai-Tempel in Uganda ist der einzige seiner Art in Afrika.
Rund 50 Bahaismus-Anhänger versammeln sich zum Gebet auf den Holzbänken der Kathedrale. Ugander, Inder, Iraner, Eritreer, Kongolesen, Amerikaner, Äthiopier, Briten – sie alle kennen sich, schütteln sich die Hand, fragen nach dem Befinden. Die Glaubensgemeinde der Bahai in Afrika ist klein und überschaubar, aber multikulturell und international. Man könnte meinen, die ganze Welt versammle sich zum Gebet. Ein Mann aus dem Iran singt Suren des Korans auf Farsi, seine tiefe Stimme hallt in der Kuppel wieder. Eine Amerikanerin liest Verse aus der Thora. Ein Ugander zitiert einen Psalm aus der Bibel in der lokalen Sprache Luganda. Dann folgen Auszüge aus den Briefen von Baha Ullah, dem Glaubensgründer.
Die Gemeinde der Bahai ist eine der weltweit am schnellsten wachsenden Religionsgemeinschaften, auch in Afrika, wo traditionell das Christentum und der Islam überwiegen. Über 10.000 Mitglieder habe die Bahai-Gemeinde heute in Uganda, sagt Nancy Oloro, Sekretärin des Nationalen Geistigen Rates der Bahai in Uganda. Die Uganderin mit den langen, geflochtenen Haaren spaziert durch die kunstvollen Gärten, vorbei an Gräbern. Sie erzählt von der Geschichte der Bahai in Afrika. Dabei zeigt sie auf einen Grabstein, der mit bunten Blumen verziert ist. „In seinen Briefen hat Baha Ullah dazu aufgerufen, den Glauben um die Welt zu tragen, auch nach Afrika.“
Glaubensgründer in Afrika waren Mitglieder einer iranischen Familie. Sie waren 1951 nach Kampala emigriert, nachdem sie in ihrer Heimat Iran verfolgt wurden. „Geliebter Wächter und spiritueller Eroberer des Kontinents“, lautet die Inschrift des Grabes von Musa Banani, dem Iraner. Daneben prangt ein weiterer Grabstein, in Form des afrikanischen Kontinents. „Hier liegt einer der ersten ugandischen Bahai begraben“, sagt sie.
Enoch Olinga stammte aus Ostuganda, hatte im Zweiten Weltkrieg für Großbritannien gekämpft und wurde, nach dem Krieg zurückgekehrt in seine Heimat, ein starker Alkoholiker. Geboren in einer protestantischen Familie, besuchte er den ersten Bahai-Zirkel in Kampala. Der Glaube habe ihm geholfen, vom Alkohol loszukommen, heißt es in der Gemeinde. Zu Beginn der 1950er Jahre gründeten neun Anhänger der Glaubensgemeinschaft in Uganda die erste Bahai-Gemeinde. „Olinga wanderte Wochen und Monate durch den kongolesischen Dschungel, bis nach Westafrika, dabei sprach er nicht einmal all die Sprachen, um die Botschaften zu verbreiten“, sagt Oloro.
Nach seiner Rückkehr nach Uganda wurden Olinga sowie seine Frau und Kinder von Schergen des Diktators Idi Amin getötet. Der Bahai-Glaube wurde wie so viele andere Religionen verboten. „Das war die größte Herausforderung für unsere Gemeinde in Uganda“, sagt Oloro.
Der Tempel war in den 1970er Jahren offiziell geschlossen, das Gelände verwaist. Oloro war damals noch ein Kind, ihre Eltern waren Bahai. „Wir beteten heimlich zu Hause, konnten aber unsere Feste nicht zelebrieren“, erinnert sie sich. Nach dem Sturz von Diktator Amin 1979 und nachdem Ugandas heutiger Präsident Yoweri Museveni die Religionsfreiheit wieder etablierte, erhielten die Bahai einen offiziellen Status.
NANCY OLORO, BAHAI- SEKRETÄRIN IN UGANDA, ÜBER DIE ZEIT UNTER DIKTATOR IDI AMIN
Dann spaziert Oloro vom Friedhof aus durch die Gärten zum Verwaltungsgebäude, wo die Büros und die Bibliothek eingerichtet sind. Das Stück Land hoch oben auf dem Hügel über Kampala hatten die Bahai-Gründer 1952 privat erstanden. Für die Ugander sei es bereits zuvor ein heiliger Ort gewesen, sagt Oloro. „Hier wurden Opferriten vollzogen, wurde gebetet.“ 1961 begann die Bahai-Gemeinde, die damals aus nicht mal hundert Anhängern bestand, mit dem Bau des Tempels. Die Mosaiksteine im Dom stammen aus Italien, die Ziegel aus Belgien und die grünen Glasscheiben für die Fenster aus Deutschland. Bis heute ist das Gebäude eine Sehenswürdigkeit auch für Touristen.
Vor dem Fenster der Bibliothek steigen zwei weiße Besucher in kurzen Hosen und mit Safari-Hut von einem Motorrad. „Wir freuen uns über alle Besucher, wir wünschen nur, sie würden sich angemessen kleiden für einen Ort des Gebets wie diesen.“
Die Andacht im Gebetshaus endet mit einem Loblied auf den Bahai-Gründer, gesungen von drei ugandischen Frauen in ihrer Muttersprache. Die Töne klingen noch lange nach in der Kuppel. Schweigend stehen die Gläubigen auf und verlassen das Gebäude. Erst zwischen den Blumenbeeten im Garten wird gesellig geplaudert. Eine Frau aus Äthiopien röstet auf traditionelle Art starken, süßen Kaffee. Ein Mann aus Eritrea packt eine große Schale Popcorn aus. Plastikstühle werden im Kreis aufgestellt, und die Gemeindemitglieder fangen an zu plaudern. Der Iraner stellt entfernte Verwandte vor, die zu Besuch sind. Bis heute werden die Bahai in Iran verfolgt. Dann wird über die Hochzeit sinniert, die am Tag zuvor im Tempel stattgefunden hatte. „Oh, es war herzzerreißend!“, schwärmt eine alte runzlige Amerikanerin und wischt sich eine Träne weg. Der Bräutigam war Muslim, die Braut Christin. Keiner von beiden wollte zu der jeweils anderen Religion konvertieren. Doch in Uganda sind die Sitten streng. Sowohl der islamische Geistliche, der Scheik als auch der christliche Pfarrer hätten sich geweigert, das Paar zu trauen. So wandten sie sich an die Bahai. „Es war eine wundervolle Trauung mit einer großen Feier“, sind sich die Bahai-Gläubigen einig. Offenherzigkeit und Toleranz gegenüber Andersdenkenden seien wesentliche Teile ihres Glaubens.
In diesem Moment hält ein Minibus auf dem Parkplatz vor dem Verwaltungsgebäude. Rund ein Dutzend Leute steigen aus. Alles grüßt und umarmt sich. Mehr Stühle werden gebracht. Buddhisten sind zu Besuch gekommen. Zwischen Popcorn und Kaffee wird über das Gottesbild der Religionen diskutiert. Auch Inder sind unter den Gästen. „Die ganze Welt sitzt in unseren Gärten“, freut sich ein Gläubiger.