: Turnvater: Clan
Teenie-Idol Fabian Hambüchen wird erwachsen – und toppt sich bei der Turnweltmeisterschaft in Stuttgart selbst. Was ist das Erfolgsgeheimnis des 19-Jährigen, der als Turnzwerg populär wurde?
VON JÜRGEN ROOS
Sein letztes Interview gab er am Samstag dem japanischen Fernsehen, dann ging Fabian Hambüchen auf Tauchstation. Nichts und niemand sollte die Vorbereitung auf den wichtigen Qualifikationswettkampf am Dienstagabend stören. Hambüchen hat es sowieso schon schwer genug bei diesen Weltmeisterschaften in Stuttgart. Der 19-jährige Turner bewegt sich in diesen Tagen zwar nur in einem Radius von einem Kilometer rund um die Schleyerhalle, erkannt wird er trotzdem überall. Ein Foto hier, ein paar Autogramme da, und immer wieder die Fragen einzelner Turnfans, ob es denn nun etwas werden könnte mit dem Weltmeistertitel am Reck. „Natürlich, das ist mein Traum“, antwortet Hambüchen meistens – und geht so schnell wie möglich weiter.
Der 1,63 Meter kleine Turner aus Wetzlar hat sich längst zu dem Star entwickelt, den diese Sportart seit Jahren so vermisst. Die Entwicklung verlief rapide. Seine plötzliche Popularität hatte Hambüchen eigentlich einem Zufall zu verdanken. Als bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen im Reck-Finale die Medaillen vergeben wurden, stand auch der 16-Jährige auf der Matte. Klein, blass und mit Brille, weil er sich mit seinen neuen Kontaktlinsen noch nicht sicher fühlte. Mit der eigentlichen Medaillenfindung hatte er als Siebter zwar nichts zu tun. Weil damals aber die Kampfrichter völlig undurchsichtige Wertungen verteilten und das Publikum mit einem minutenlangen Pfeifkonzert reagierte, stand auch der junge Deutsche plötzlich im Mittelpunkt. Er behielt die Nerven, und das Millionenpublikum vor den deutschen Fernsehgeräten hatte ihn spontan ins Herz geschlossen. „Er war zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort – planbar war das nicht“, sagt Hambüchen-Manager Klaus Kärcher noch heute.
Dann kamen die sportlichen Erfolge. 2005 und 2007 wurde Hambüchen Europameister am Reck, 2006 holte er sich bei der WM die Bronze-Medaillen am Sprung und im Mehrkampf, der unter den Turner als Königsdisziplin gilt und über Jahre von Athleten aus China, Japan, Russland und den USA dominiert wurde. Mit Erfolgen stieg das öffentliche Interesse. Manager Kärcher, der schon die Eisschnellläuferin Anni Friesinger zum Star gemacht hatte, besorgte ihm lukrative Sponsorenverträge – und die deutsche Turnerschaft hatte plötzlich wieder einen Vorzeigeathleten.
Stellt sich die Frage, welchen Gesetzen diese Entwicklung folgt. „Ohne sportliche Erfolge“, sagt der Manager, „geht normalerweise gar nichts.“ Und diese Erfolge sind das Ergebnis intensiver Aufbauarbeit eines Familienbetriebs. Vater Wolfgang Hambüchen ist der Trainer, Mutter Beate kümmert sich um den Alltag des Spitzensportlers, Onkel Bruno gibt den Mentaltrainer. Jahrelang bildete der Hambüchen-Clan so etwas wie eine autonome Zelle im Deutschen Turnerbund (DTB), dem zweitgrößten Sportverband nach dem DFB. Erst spät registrierten beide, dass sie voneinander profitieren können.
Dass Hambüchen mittlerweile in der turnerischen Weltspitze angekommen ist, verdankt er seinem Clan, der ihn sehr langsam und wachsam aufgebaut hat. Statt komplett auf den Spitzensport zu setzen, absolvierte der Turner dieses Jahr das Abitur (Schnitt: 3,1). Statt sich in die Obhut des großen Verbandes zu begeben, suchen die Hambüchens immer neue Wege. Im Sommer verbrachte der Athlet schon zum zweiten Mal völlig alleine zwei Wochen in Japan, um dort von den Gerätekünstlern aus Fernost zu lernen.
Mit wohldosierten Fernsehauftritten im ZDF-Sportstudio und bei Hape Kerkeling arbeitete Fabian Hambüchen an seinem Image, gab intelligente Antworten, machte kesse Sprüche. „Meine Disco ist die Turnhalle“, sagte er in einem Interview vor dieser WM und wollte damit ausdrücken, dass Spitzensport für junge Erwachsene durchaus eine Alternative sein kann.
Längst warnen die Experten vor einer „Fabianisierung“ des Turnens und nehmen erfreut zur Kenntnis, dass sich bei der WM auch andere Athleten wie die 16-jährige Marie-Sophie Hindermann oder Philipp Boy aus Hambüchens Schatten bewegen. „Vielleicht tut das dem Sport gut“, sagt Hambüchen-Manager Kärcher. Wohl wissend, dass sein Schützling bis auf weiteres unerreichbar bleibt. Bei der Olympia-Qualifikation am Dienstag in Stuttgart – die deutschen Männer landeten auf einem sensationellen dritten Platz – wurde das wieder deutlich: Die 8.000 Zuschauer in der Stuttgarter Schleyerhalle jubelten am lautesten, wenn Hambüchen an die Geräte ging. Und am Ende hat wieder er mit den Finalplätzen im Mehrkampf, am Sprung und am Reck die besten Medaillenchancen.