Agrarwende findet Großstadt

Für gesunde Lebensmittel und eine bäuerliche Landwirtschaft – am Samstag fahren die Bauern mit ihren Traktoren zur Großdemonstration ins Regierungsviertel

Freitag, 16. Januar „Schnippeldisko – Topf-Tanz-Talk“ Ab 18 Uhr im Zirkus Cabuwazi, Am Postbahnhof 1 ■ Samstag, 17. Januar Bauernfrühstück Markthalle Neun, 8 bis 11 Uhr, Eisenbahnstraße 42/43 Demo Die Auftaktkundgebung zur Demo findet um 12 Uhr am Potsdamer Platz statt, ab 12.30 Uhr geht der Demonstrationszug zum Kanzleramt. Abschlusskundgebung mit Rock for Nature ab 15 Uhr

Der Strom kommt aus der Steckdose, die Lebensmittel kommen aus dem Supermarkt. Das Leben könnte so einfach sein. Wenn da nicht ständig diese Lebensmittelskandale wären und die Gentechnik und die Massentierhaltung und die Pestizide auf dem Acker.

„Wir können es besser“, lautet die Botschaft, die am Samstag wieder Tausende ins Regierungsviertel tragen werden. Zum fünften Mal rufen Bauern-, Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen dazu auf, für die Agrarwende zu demonstrieren. Nach Angaben der Veranstalter beteiligten sich im letzten Jahr fast 30.000 Menschen an der „Wir haben es satt!“-Demo.

Die Teilnehmer setzen sich für eine bäuerliche und ökologische Landwirtschaft ein, die fair für die Erzeuger ist und langfristig die Welt ernähren kann. „Es braucht kostendeckende Preise für Bäuerinnen und Bauern, die respektvoll mit den Tieren und der Umwelt umgehen. Es bedarf einer regionalen Erzeugung statt steigender Weltmarktorientierung für Lebensmittel“, sagt Jochen Fritz, Sprecher der „Wir haben es satt!“-Demo.

Über 80 Organisationen unterstützen den Aufruf. Aus der ganzen Bundesrepublik werden Busse erwartet und auch rund 100 Bauern mit ihren Traktoren. Viele Teilnehmer kommen aus dem ländlichen Raum und sind selbst in der Landwirtschaft oder der Lebensmittelproduktion tätig. Land trifft Stadt. Die Bewegung für die Agrarwende bringt Verbraucher und Produzenten zusammen.

Biolandbau, artgerechte Tierhaltung und regionale Produkte stellen für immer mehr Verbraucher eine Alternative dar. Laut einer repräsentativen Befragung im Auftrag des Bundesministeriums für Landwirtschaft und Ernährung bevorzugen 92 Prozent der Verbraucher regionale Produkte. Auch der Umsatz von Biolebensmitteln wächst jährlich um etwa 7 Prozent.

Aber trotz hoher Nachfrage stagniert der Ökolandbau in Deutschland. Die Zahl der ökologisch bewirtschafteten Flächen wächst seit einigen Jahren kaum noch an.

Der bäuerlichen Landwirtschaft stehen rasante Konzentrationsprozesse gegenüber. Wenige Großkonzerne übernehmen immer mehr Anbauflächen und teilen sich den Markt der Lebensmittel auf. Sie treiben die Industrialisierung der Landwirtschaft voran. Als Folge werden die Ackerflächen teurer, der Preiskampf bei den Lebensmitteln wird härter. Effizienzsteigerung bedeutet Monokulturen und Massentierhaltung. Weltweit werden immer mehr Chemiedünger und Pestizide auf die Felder ausgebracht.

Die Frage, welche Landwirtschaft subventioniert oder gefördert werden soll, ist eine politische. Das Bündnis für eine Agrarwende hat eine ganze Reihe von gemeinsamen Forderungen an die Politik formuliert.

Die Forderung, Tierfabriken zu stoppen, ist eine davon. Sie hat diese Woche weitere Argumente erhalten. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) veröffentlichte am Montag eine Studie, wonach auf 88 Prozent der bei Discountern gekauften Putenfleisch-Proben antibiotikaresistente Keime gefunden wurden. Als Ursache wird die industrielle Massentierhaltung genannt. Werden zu viele Tiere auf zu engem Raum gehalten, sei das nur unter Einsatz großer Mengen von Antibiotika möglich. Hubert Weiger, Vorsitzender des BUND, fordert Bundesagrarminister Schmidt zum Handeln auf. „Er muss verbindliche Pläne zur Reduzierung des Antibiotika-Einsatzes und zum Verbot von Reserveantibiotika in Tierfabriken aufstellen“, sagte Weiger.

Ein weiteres großes Thema werden dieses Jahr die geplanten Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada sein. Das Online-Netzwerk Campact ruft dazu auf, am Samstag auf der Demo ein Zeichen gegen die Handels- und Investitionsabkommen TTIP und Ceta zu setzen. Vor allem bei TTIP wird befürchtet, dass das Abkommen Auswirkungen auf die relativ strengen Regeln für den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen hätte. TTIP sei ein Wegbereiter für Marktriesen wie Monsanto.

Wer sich vor dem großen Protest einmal ganz praktisch im Kleinen an der Agrarwende beteiligen möchte, kann schon am Freitag im Cabuwazi mit mehreren Hundert Hobbyköchen krumm gewachsene Ausschlussware von regionalen Biohöfen zubereiten. Auch der in Politkreisen inzwischen legendäre Aktionskoch Wam Kat wird dabei sein. JÖRN ALEXANDER