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Archiv-Artikel

Ein Toter in Dresden

GEWALT Ein Flüchtling aus Eritrea wird erstochen. Von wem, ist unklar. Die Mordkommission ermittelt. Hetze im Netz

VON MICHAEL BARTSCH UND ERIK PETER

DRESDEN/BERLIN taz | Ein im Dresdner Stadtteil Leubnitz-Neuostra tot aufgefundener Flüchtling ist Opfer eines Tötungsdeliktes geworden. Polizeichef Dieter Kroll bestätigte am Mittwoch gegenüber der Dresdner Morgenpost: „Nach jetzigem Befund legen wir uns darauf fest, dass ein Messerstich ursächlich für die Verletzung verantwortlich ist. Wir schließen aus, dass es sich um einen Unfall handelt.“

Der 20-jährige Khaled Idris Bahray war Dienstag früh von einer Anwohnerin im Innenhof eines Plattenbaublocks im Südosten der Stadt tot aufgefunden worden. Einen Tag später erinnert dort eine einsame Blume an den jungen Mann aus Eritrea. Ein Blutspürhund der Polizei wartet auf seinen Einsatz. Der Ort, an dem die Reste einer Blutlache zu erkennen sind, liegt nahe einer dezentralen Unterkunft, in der Idris mit sieben weiteren Flüchtlingen in einer von mehreren Wohngemeinschaften lebte.

Die Polizei lädt gerade ein knappes Dutzend seiner Mitbewohner in einen Mannschaftswagen. Zur Vernehmung, betont ein Ermittler. Derweil treffen immer mehr Flüchtlinge per Fahrrad ein. Die jungen Männer wirken verstört. Für ihre unmittelbaren Nachbarn haben sie nur gute Worte. Sonst aber würden sie häufig angespuckt und mit Rufen wie „Fuck you“ oder „We are killing you“ bedacht. Deutschland sei nicht gerade freundlich, aber immerhin eine Demokratie, und die Verhältnisse in Eritrea seien ganz unerträglich, sagen sie.

Die Nachbarn im Viertel sind überraschend offen und durchweg freundlich. Gleiches sagen sie auch von den afrikanischen Asylbewerbern. „Lieb und nett sind die“, meint ein bulliger Hüne, den man nach seinem Habitus eher weit rechts verortet hätte. Von ihm und anderen ist zu erfahren, dass die Asylbewerber nie allein einkaufen gingen.

Die Flüchtlinge bestätigen das. Niemand kann sich deshalb erklären, wie der 20-Jährige einsam zu Tode kam. Er war Montagabend zum nahen Supermarkt gegangen. Dort soll er an der Kasse noch Kunden vorgelassen haben, die es eiliger hatten.

Ein Anwohner erzählt, dass die Afrikaner stets reichlich Bier die 300 Meter bis zum Wohnblock heimschleppten. Er vermutet, Alkohol- oder Drogenkonsum könne im Spiel sein. Und bleibt dennoch dabei: „Ein Mord passiert hier nicht!“

Robert Kusche, Geschäftsführer der Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt in Dresden (RAA), hat sich am Mittwochvormittag mit Idris’ Mitbewohnern getroffen. Diese hätten ihm berichtet, dass der Tote „aus Mund und Nase geblutet“ habe, sagt Kusche. Die Stimmung unter den Asylbewerbern sei „bedrückt und ängstlich“, sagt Kusche, „sie machen sich Sorgen, dass sie die Nächsten sind“.

Die Polizei hatte zunächst mitgeteilt, dass es keine „Anhaltspunkte auf eine Fremdeinwirkung“ gäbe. Erst nach einem Bericht der Dresdner Morgenpost wurde bekannt, dass die Mordkommission ermittelt.

Michael Nattke, Fachreferent im Kulturbüro Sachsen, hält ein rassistisches Tatmotiv für denkbar: „In Dresden gibt es starke Anfeindungen gegenüber Asylsuchenden, insbesondere an Montagen“. An den wöchentlichen Pegida-Demonstrationen nehme eine „vierstellige Anzahl von organisierten Neonazis mit einem unheimlichen Aggressionspotential “ teil. Die Mitarbeiter des Kulturbüros seien an jedem Montag überrascht, „an dem es nicht zu einer krassen Gewalttat kommt“, so Nattke.

Opferberater Kusche bestätigt, dass die Flüchtlinge die Pegida-Aufmärsche als Gefahr registriert hätten. Daher seien sie montags nicht mehr auf die Straße gegangen.

Während das Tatmotiv noch im Dunkeln liegt, formieren sich bereits die Pegida-Anhänger. Auf der Facebookseite der Dresdner Morgenpost schreibt ein User: „Wenn morgen beispielsweise ne Katze ungefahren wird ist da auch die pegida schuld ???“ Der Beitrag gehört noch zu den harmloseren. In einem von unzähligen offen rassistischen Kommentaren schreibt ein anderer: „Einer weniger der auf unsere kosten lebt.“

Bereits am 22. Dezember hatten nach einer Pegida-Demonstration 50 Hooligans und Rechtsradikale eine Gruppe migrantischer Jugendlicher angegriffen, eine 15-Jährige wurde verletzt. Die Polizei schenkte ihren Aussagen zunächst keinen Glauben und intensivierte ihre Ermittlungen erst nach starkem öffentlichem Druck.