: Der Bauer und der Fahnder
DROGEN Auf einem Hof in den Bergen Marokkos wird das Hanf zu Haschisch getrommelt. Dann beginnt der geheime Transport nach Europa – den ein Polizist in Den Haag unbedingt blockieren will
■ Die Produzenten: Zurzeit werde in Marokko auf 47.500 Hektar Cannabis angebaut, meldete die Regierung der UN-Drogenbehörde UNODC 2010 mündlich. Ein Gebiet so groß wie der Spreewald in Brandenburg. Das wären 20.000 Hektar weniger als die UNODC 2005 mit Satellitenbildern ermittelte. Anders als Haschisch wird Gras – meist getrocknete Blüten – in Treibhäusern und auf Dachböden in Deutschland, den Niederlanden oder Tschechien angebaut.
■ Die Konsumenten: In West- und Zentraleuropa haben 7,1 Prozent der Menschen zwischen 15 und 64 Jahren im Jahr 2009 mindestens einmal Cannabis konsumiert. Die UN-Drogenbehörde warnt, dass dort besonders viele junge Menschen zwischen 15 und 19 Jahren wegen Cannabiskonsums in Behandlung seien. Der Gehalt des Wirkstoffs THC sei stark angestiegen, weil das Gras überzüchtet werde. Bei Haschisch blieb der THC-Anteil zuletzt relativ konstant.
VON JOHANNES GERNERT UND KHALID EL KAOUTIT
Der Stoff, mit dem andere Millionen verdienen, klebt an Bashir El Yousoufis Daumen. Er schnipst sein Feuerzeug an und hält es über den öligen Klumpen, bis das Haschisch sich unter der Hitze krümmt. Neben ihm auf der Terrasse tropft die Wäsche an der Leine. Unten grasen die Ziegen des Nachbarn. Er knetet das Bröckchen, lässt die Flamme darüber züngeln, legt es auf die Handfläche, riecht, drückt, prüft. Lockeres Harz, frisch aus den Blüten der Pflanzen geprügelt. „Beste Qualität“, sagt Bashir El Yousoufi. Dann schnippt er den Stoff in die Wiese.
Um die zehn Euro hätte er damit in Deutschland weggeworfen, hier im marokkanischen Rifgebirge sind es noch ein paar Dirham, ein, zwei Euro. Er hofft, dass er sich von seinen Erlösen irgendwann ein Auto leisten kann, einen Mercedes vielleicht, 190 D, oder gleich einen 207 D, einen dieser Transporter, die den Staub aufwirbeln, während sie die Serpentinen hochscheppern. El Yousoufi schaut dem Klumpen hinterher, vor ihm wölben sich die Berge, so weit, dass die Bäume in der Ferne wie Moos aussehen. Von drinnen ist leise ein Trommeln zu hören, taktaktak.
Bashir El Yousoufi, 26 Jahre alt, sät, erntet und verarbeitet. Ein Bergbauer – oder ein Drogenproduzent, das ist eine Frage der Perspektive. Er lebt in einem Dorf, in dem die Milch nach Kuh riecht und das Brot im Lehmofen gebacken wird. „Ich habe keine Feinde“, sagt er. Die Gendarmerie Royale lässt ihn bisher in Ruhe.
Aber in Marokko ist es verboten, Cannabis anzubauen, und so hat Bashir El Yousoufi die Tür hinter seinem Neffen zugesperrt, der im zweiten Stock des Hauses aus den Hanfbüscheln gerade das Haschisch trommelt, taktak, taktaktak. Man kann nie wissen. Vielleicht überlegen es sich die Gendarmen anders. Er ist ein vorsichtiger Mensch. Sein echter Name soll da lieber nicht in dieser Geschichte auftauchen.
Die Welt des Kriminalisten. Spionage, Terror, Drogen
Vom niederländischen Den Haag aus betrachtet, aus der Perspektive des Robert Hauschild, ist Bashir El Yousoufi ein Krümelchen. Hauschild sucht die Brocken, die Tonnen, er ist Chefkriminalist bei Europol. Gerade das allerdings könnte ihn zum Feind des Bergbauern El Yousoufi machen, den er als Produzenten einer illegalen Ware betrachtet. Hauschild will ihm die Vertriebswege versperren. Gelingt das, bräche dem Landwirt das Einkommen weg.
Robert Hauschild ist seit 25 Jahren bei der Polizei, mit 18 fing er an. Spionage, Terrorismus, Drogen. Staatsschutz, Interpol, BKA. Libanon, Algerien, Afghanistan. Jetzt ist er 44 und oberster Drogenfahnder von Europas Polizei, der Schädel kantig, die Gesten coachingklar. Er kämpft gegen organisierte Kriminalität, die in seinen Sätzen OK heißt.
Hauschild verfolgt die Wege des Haschisch. Gras wird vor Ort angebaut, da wo es geraucht wird, in Deutschland, den Niederlanden, der Schweiz. Das Cannabisharz dagegen reist um den Globus. Der größte Exporteur von Haschisch ist Marokko, mit weitem Abstand vor Afghanistan und dem Libanon. Das hat auch der aktuelle Drogenbericht der UN wieder bestätigt.
Hauschild erklärt, Ellbogen auf den Knien, in einem hotelkühlen Besprechungsraum der Europol-Zentrale, wie die Informationen aus den Staaten der EU bei ihnen zusammenlaufen. Leise klackt das Plastik von Smartphonetasten, ein Pressesprecher hört beim Interview zu. Die Aufgabe von Europol ist es, den Drogenmarkt zu überblicken. Handynummern, Autokennzeichen, Abhörprotokolle – die Kollegen aus Deutschland, Frankreich oder Dänemark schicken Daten. Hauschilds Leute kombinieren sie, ziehen Schlüsse, entwickeln Strategien. Sie arbeiten gegen das Cannabisgeschäft.
Betrachtet man die Sache von Marokko aus, vom Rifgebirge, dann geht es um die Vernichtung der Existenz von Bauern wie Bashir El Yousoufi.
Sieht man es von Den Haag aus, von Hauschilds Hauptquartier, geht es um den nachhaltigen Kampf gegen die OK. „Ich nehme heute eine Tonne Cannabis oder Haschisch vom Markt“, sagt er. „Morgen ist die nächste da. Nachhaltigkeit kann ich nur erzielen, indem ich diese Strukturen, die sich schon lange etabliert haben, zerschlage.“
Robert Hauschild und seine Leute wollen verhindern, dass das Produkt des Bergbauern El Yousoufi bei den Kunden ankommt. In keiner Region der Welt wird so viel Haschisch beschlagnahmt wie in Europa. Laut der UN-Drogenbehörde UNODC waren es 49 Prozent der weltweiten Sicherstellungen im Jahr 2009.
Taktaktak. Das verbotene Trommeln ist für El Yousoufi der Vorbote des Verdiensts, des Geldes. Im Dachgeschoss, zwischen Waschbetonwänden klopfen zwei Jungs auf zusammengerollte Hanfpflanzen ein, sechs Bündel, dick wie Baumstämme, hat El Yousoufi in diesem Jahr geerntet. Sie lagern unter blauer Folie vor der Tür, sechshundert Kilo. Sein Neffe und ein Kollege dreschen mit ihren dünnen Ruten das Harz aus den Blüten, Tag für Tag, zehn Euro für einen, morgens bis abends, taktaktak, Kopfhörer in den Ohren, immer aus dem Handgelenk, taktak. Sie tragen Jogginghosen, Schüsseln im Schoß, darüber Stoff, darauf, taktaktak, die Stängel und Blüten. So trommeln sie den hellen Staub in die rote Schüssel, drei Durchgänge mit jeder Pflanze, das erste Harz ist das Beste.
Das Handy wird bald klingeln, es ist Verkaufszeit. El Yousoufi wird es aus der Jeans oder der Kunstlederjacke kramen, wenn er nicht sowieso daran herumspielt, und er wird versuchen, einen guten Preis auszuhandeln, sagt er. 352 Euro haben Kleinbauern für ein Kilo Hasch im Jahr 2005 durchschnittlich eingenommen, 4.000 Dirham. So hat es Marokko an die UNODC gemeldet.
Die Welt des Bauern. Arbeit und der Traum vom 190 D
Die UN, die EU würden die Region gern vom Cannabis entwöhnen. Der Polizist Hauschild müsste nicht mehr gegen die Schmuggler kämpfen, die den Stoff von dort holen. Aber der Bauer El Yousoufi müsste den Traum vom 190 D aufgeben, müsste neu anfangen. Das weiß auch sein König. Das macht die Sache kompliziert.
Es ist kein Drogenkrieg, der hier stattfindet. Die EU fliegt nicht ein und vernichtet Felder, wie es die USA in Südamerika im Kampf gegen Kokain getan haben. Es ist eher Drogenschach. Robert Hauschilds Leute analysieren die Produktionsmengen, sie überlegen, welchen Zug die Schmuggler gerade machen. Und die Schmuggler analysieren die Züge der Polizei.
Vom marokkanischen Haschisch gibt es viele Sorten, das frische, ganz weiche, das selbst jahrzehntelangen Kiffern das Herz bis in den Hals treibt und ihr Hirn weich macht wie Nougatschokolade. Oder die harten dunklen Platten, die sie in den Haschischfabriken am Berghang gegenüber manchmal mit Puderzucker erhitzen, weil der Stoff sonst zerbröselt, wenn sie ihn zu Platten pressen. Es gibt so viele Sorten wie es Schokoladenarten gibt, und es gibt noch viel mehr Strecken, auf denen diese Sorten nach Europa gelangen können. Auch nach Den Haag.
Von außen erinnern die Betonriegel der Europol-Zentrale mit ihren länglichen Fensterschlitzen an eine Festung. In einem der klimatisierten Riegel sitzen die Drogenfahnder und verknüpfen Namen, Wege, Nummern, sie suchen Verbindungen. „Wenn die Staaten zusammen die OK-Struktur zerschlagen, das ist für uns der Erfolg“, sagt Robert Hauschild im Untergeschoss, gegenüber der Kantine, wo alles eher wie eine Mischung aus UN-Konferenz und Uni-Mensa wirkt. Sätze, die ihm etwas bedeuten, feuert er in die Stille des Raums wie Squashbälle. Betont hart. Sonst erklärt er die Dinge gern ausführlich und die Sätze sind dann weicher, manchmal witzig. Wird es ernst, misstraut er seinem Charme.
Einer schmiert den Fahrern den Weg frei
Wenn das Handy von Bashir El Yousoufi klingelt, ist meist ein Sammler dran. Sie sitzen in den größeren Städten und schicken ihre Fahrer los, um die bestellten Mengen zu besorgen, so erzählt das der Bergbauer, und so erzählen es auch die Schmuggler. Die Fahrer rasen nachts über gewundene Bergstraßen nach Tanger, Tetouan, Nador an die Küste, für 200 Dirham pro Kilo, 18 Euro. 100 Dirham zahlen sie, sollte am Straßenrand eine gelbe Polizeiweste leuchten. Manchmal fährt jemand vor und schmiert den Weg frei. Sie haben genaue Anweisungen, wo sie das Hasch ablegen sollen – an einem leeren, geparkten Bus beispielsweise. Wenn sie in den süßlich schweren Rauchschwaden des Cafés lehnen und Karten spielen, neben der staubigen Tankstelle, wenn sie in einem neuen Mercedes abhängen, erzählen sie sich von dem unbestechlichen Polizisten, den es einmal gab. Einer von ihnen soll mit vollem Wagen durch dessen Sperre gerauscht sein. „Wie Michael Schumacher“, sagen sie und lachen ihre Augen faltig.
Der Einfluss von Europol reicht nicht bis nach Marokko, weil es kein Kooperationsabkommen gibt. Hauschild, der Polizist, kommt nicht an El Yousoufi, den Bauern, heran. Eigentlich wären eh die Gendarmen zuständig für das Rifgebirge, für die Provinz Chefchaouen. Aber für einen Polizisten ist das wie ein Lottogewinn, wenn er hierher versetzt wird, sagen sie in den Bergen. El Kif, das Cannabis, ernährt nicht nur die Bauern.
Es sind bloß wenige Minuten mit der Straßenbahn von der Europol-Festung, wo Robert Hauschild die Zerschlagung der OK-Strukturen plant, zum Café Cremers. Das Cremers ist ein gemütlicher Coffeeshop. Man kann dort marokkanisches Haschisch kaufen. Obwohl der Handel damit streng genommen auch in den Niederlanden verboten ist.
Marokko und die EU, sie tun sich beide ähnlich schwer damit, eine Haltung zu diesem Stoff zu finden, der eigentlich eine verbotene Droge sein soll.
Auch Deutschland ringt um Klarheit. Ob die Bundesregierung die Auffassung teile, dass diejenigen, die Hanf in geringen Mengen für den Eigenbedarf anbauten, „diese dem Schwarzmarktumsatz entziehen und damit kriminellen Strukturen schaden“? Das wollten Abgeordnete der Linkspartei im Juli von der Bundesregierung wissen. Die Antwort fiel knapp aus: „Nein.“
Es ist eine Diskussion, von der Robert Hauschild sagt, dass sie ihn nicht zu interessieren habe. Irgendwann ist er in der kühlen Stille des Besprechungsraums da angelangt, wo er den entscheidenden Punkt vermutet: „Für mich ist es wichtig, dass die Leute verstehen, dass das organisierte Verbrechen Millionen und Milliarden Gewinn macht und die illegalen Gewinne dann wieder benutzt, um andere Verbrechen zu begehen“, sagt er, „um unsere Gesellschaft zu infiltrieren.“
Wenn er über OK-Strukturen referiert, spricht er oft von „Hubs“, von Drehkreuzen. In einem Report hat Europol auf eine tiefblaue Europakarte mehrere rote Kreise eingezeichnet, wie Erdbebenregionen – „Criminal Hubs“. Sie liegen dort, wo die EU auf Russland trifft oder aufs Meer – in Italien etwa, Belgien, den Niederlanden. Und am „South West Hub“, in Spanien und Portugal. Für marokkanisches Haschisch führen fast alle Wege über die spanische oder die portugiesische Küste. Dort könnte die Schachpartie entschieden werden.
Die Schmuggler stapeln die Haschblöcke in ihre Speedboote. Wenn Beamte der Guardia Civil oder der Policía Nacional sie immer wieder bei Marbella abfangen, probieren sie es auf der anderen Seite, bei Cadíz, oder in Portugal. Wenn die Polizei auch dort zuschlägt, nehmen sie ganz andere Wege.
Eine Piper ist ein kleines, leichtes Flugzeug. Die Schmuggler warten gern auf ein Sportereignis, möglichst am Wochenende, damit die Polizei beschäftigt ist. Dann fliegen sie in Richtung Europa, übers Meer, so niedrig es geht, unterm Radar, ohne Licht, ohne Funk. Sie landen auf privaten Flughäfen oder in den Gärten spanischer Fincas.
Im Juli berichtet die spanische Polizei von einer Aktion, bei der sie eine Tonne Haschisch gefunden hat. Sie beschlagnahmt drei Pipers und zwei Hubschrauber, Typ Alouette. Außerdem sechs Fahrzeuge, zwei davon geklaut. Das Haschisch lagert in blauen Packen, groß wie Reisekoffer, darin verschweißte Klötze.
Beste Ware, in den Mägen der Kuriere versteckt
Das frische Premiumhaschisch steckt, rund wie Schokoladenostereier, in der Vagina, im Anus – in Mägen, von einem guten Dutzend rumänischen Jugendlichen etwa, die ihre Schlepper von Madrid aus zum Schmuggeln geschickt hatten.
Das Haschisch, das von Höfen wie dem von Bashir El Yousoufi stammt, es findet seine Wege. Oft, bevor Robert Hauschilds Spezialisten sie erkennen.
Was durchkommt, wird in Lagerhallen, in alten Hangars oder verlassenen Industriehallen verladen. Ist das Cannabisharz erst in der EU angekommen, bleibt den Fahndern nur der Zufall. Ihre Chancen sind die Küsten, die Häfen, die Fähren. Aber würde man dort jede Kiste durchwühlen, kämen marokkanische Orangen nur noch verschimmelt in deutschen Supermärkten an.
Das internationale Verbrechen unterscheide sich in seinen Strategien nicht grundlegend von der legalen Wirtschaft, findet Robert Hauschild. Die Branche sucht nach Absatzmärkten und Zugangswegen. Blockiert die Polizei die Zugänge, suchen die Logistiker neue. Man optimiert die Vertriebskanäle, kooperiert in Joint Ventures, schafft Synergien, tauscht Haschisch gegen Waffen gegen Kokain.
Gut 10 Milliarden Euro sind im Jahr 2004 laut UNODC mit marokkanischem Haschisch in Westeuropa verdient worden, das ist etwas mehr als der aktuelle Jahresumsatz der größten Brauerei der Welt, Anheuser Busch. 260 Millionen Euro nahmen die Hanfbauern 2004 ein.
Das Geld mit dem Hasch machen die, die es über die Grenze bringen. Die, die das größte Risiko tragen. Auch das funktioniert marktwirtschaftlich. Und selbst das große Risiko ist kleiner als bei Heroin oder Kokain.
Bashir El Yousoufis raucht kein Hasch. Nur wenige tun das oben in den Bergdörfern von Chefchaouen. Sie wollen nicht abhängig werden von El Kif. Sie sind sich uneinig, ob der Prophet Mohammed El Kif als „halal“ oder „haram“ betrachten würde, als rein oder unrein. Es ist bei keinem Mohammed leicht herauszufinden, wie er genau zum Cannabis steht, weder bei Mohammed dem Propheten noch bei Mohammed VI., dem König.
Der Prophet ist tot. Der König laviert.
Als Mohammed VI. im Jahr 2000 die ersten Monate auf dem Thron seines verstorbenen Vaters gesessen hatte, freuten sich die Bauern, wie viel ihrer Hanfernte der junge Monarch ihnen ließ. Wenige Jahre später rollten Bagger über Hanffelder und Polizisten verbrannten Pflanzen. Gesandte der UN durften die Anbauflächen kartografieren. Zum letzten Mal taten sie das 2005. Seitdem scheitert die Anreise der UN-Leute jedes Mal, kurz bevor die Erhebung stattfinden soll. Missverständnisse.
Für El Yousoufi beginnt alles im Frühjahr, wenn die Mandelbäume weiß blühen, mit dem Säen. Er heuert Wanderarbeiter an, in der Moschee, wo sie übernachten. Mit dem Ochsenkarren pflügen, Unkraut jäten, wässern, männliche Pflanzen ausreißen, die ohne Blüten. Er schläft auch auf den Feldern am Dorfrand, wo die Kälte sich in manchen Nächten schwer auf den Körper legt. Im Sommer ernten, trocknen. Dann klopfen. „Es ist viel Arbeit“, sagt El Yousoufi. „Man muss die ganze Zeit arbeiten.“
Der König will keine Aufstände riskieren
Er hat den Hof von seinem Schwager übernommen. Der hatte einen Brunnen graben wollen und war unten im Schacht in den Abgasen eines Dieselgenerators erstickt. Jetzt macht El Yousoufi die Arbeit. Die Schwester backt Brot, brät morgens Eier, stellt ihm Oliven hin, Olivenöl.
3.600 Euro brutto haben die einzelnen marokkanischen Familien UNODC zufolge im Jahr 2005 verdient. Man muss einige Jahre sparen, um sich einen Mercedes 190 D leisten zu können. Aber es ist nicht unmöglich. Weil die Bauern den Wald abholzen, um Cannabisfelder zu schaffen, fördern sie die Erosion. Sie zerstören die Umwelt. Die EU, die Vereinten Nationen, sie drängen Marokko, etwas dagegen zu unternehmen. Aber sie müssten eine Alternative bieten.
Wahrscheinlich hat der König auf Finanzströme aus dem Norden als Gegenleistung dafür gehofft, dass er die Warenströme stoppt, wahrscheinlich hat er deshalb die UNODC-Kartografierer ins Land gelassen. Aber das große Geld kam nicht. Bashir El Yousoufi müsste aufhören, von Autos zu träumen, wenn der König ihn zwänge, Tabak anzubauen, der viel mehr Pflege braucht, aber viel weniger einbringt. Mohammed VI. würde Aufstände riskieren. Noch mehr Aufstände.
In Peru, im größten Kokaanbaugebiet der Welt, haben Bauern gerade Straßen blockiert – weil der Präsident dem Druck der USA nachgegeben hatte und Pflanzen zerstören ließ.
Das Hasch aus Marokko gelangt also zum südwestlichen Drehkreuz. Zum Beispiel in eine Villa in Malaga, wo ein Marokkaner eine halbe Tonne an Franzosen verkauft, die 140 Kilo davon an Algerier in Lyon vertreiben. Die Villa ist mit Kameras gesichert, von innen und außen. Eine Autokolonne macht sich auf den Weg nach Frankreich, fünf Luxuswagen, das Hasch in der Mitte. Wenn der erste Wagen eine Polizeisperre entdeckt, lassen sie per Handy die nächsten stoppen. So erzählt es einer aus dem Rifgebirge, der im Haus war.
Vom südwestlichen Knotenpunkt werden die Haschblöcke zum nordwestlichen Drehkreuz geschleust, in die Niederlande oder nach Belgien. Die deutschen Händler holen es dort. Der „wichtigste Beschaffungsstaat“ sind die Niederlande, erklärt das Bundeskriminalamt. 2.836 Euro haben Großhändler für ein Kilo Haschisch im Jahr 2010 in Deutschland gezahlt, stellt UNODC fest. Wenn Europa, wenn die UN, allzu sehr drängen, man möge etwas gegen den Cannabisanbau unternehmen, bleibt dem König Mohammed VI. von Marokko als Abwehr immer noch die Antwort: Ihr raucht es doch. Warum verbietet ihr es nicht?
Würden die EU-Staaten das Hasch legalisieren, wären die OK-Strukturen, die der Europol-Kriminalist Hauschild zerschlagen will, vielleicht noch organisiert, aber nicht mehr kriminell. Womöglich müsste Bashir El Yousoufi die Tür nicht mehr abschließen, wenn sein Neffe das Harz aus den Blüten trommelt. Auf den Speedbooten und in den Flugzeugen lägen weiter Kokainbeutel, Heroin, da kauerten immer noch Menschen, die nach Europa wollen. Wer würde profitieren, wenn die EU ihre Grenzen für Haschisch öffnete? Die Staaten, die Cannabissteuern einführen? Bauern wie El Yousoufi?
In der Europol-Festung will Robert Hauschild solche Fragen nicht beantworten. Er arbeitet gegen die braunen Klumpen an, die von den Dörfern des Rifgebirges auf den Weg nach Europa gebracht werden, bis ins Café Cremer in Den Haag.
All die Polizisten mit ihren Analysen, den Computern und Satelliten, sie werden wohl nie eine Chance haben. 89.900 Familien hat die UN-Drogenbehörde 2005 gezählt, 89.900 Familien leben in Marokko vom Cannabisanbau. Und es gibt 29 Millionen Menschen in Europa, die mindestens einmal im Jahr 2009 Cannabis geraucht haben.
Bashir El Yousoufi ist nur ein Bauer in einem Bergdorf, wo sie noch mit Ochsenkarren pflügen. Aber die Kräfte des Markts schützen ihn. Er sät. Und erntet.
■ Johannes Gernert, 31, sonntaz-Redakteur, zog in den marokkanischen Bergen an einer Haschpfeife, wurde aber süchtig nach Minztee
■ Khalid El Kaoutit, 35, freier Journalist in Berlin, wuchs in Marokko auf und kiffte 2011 zum ersten Mal in seinem Leben