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Archiv-Artikel

Rätselraten über Chemiewaffeneinsatz

SUDAN UNO erhielt bereits im Juni Informationen über C-Waffen beim Krieg in den Nuba-Bergen

Einsatz von Chemiewaffen ist „mit der sudanesischen Moral unvereinbar“

SUDANS ARMEESPRECHER

BERLIN taz | Die Vereinten Nationen versuchen seit Monaten, Vorwürfen über den Einsatz chemischer Kampfstoffe durch Sudans Regierungsarmee SAF in den umkämpften Nuba-Bergen in der Provinz Südkordofan nachzugehen. Entsprechende Vorwürfe hatte die taz in ihrer gestern veröffentlichten Reportage aus den Nuba-Bergen erhärtet. Darin schilderte taz-Reporterin Ilona Eveleens einen Bombenkrater mit rotgefärbtem Wasser, in dessen Umfeld nach Rebellenangaben Menschen an einem „weißen Puder“ erkrankt seien. Den Krater samt aufgeplatztem Kanister konnte sie im Bild festhalten (siehe Foto). Dem Augenschein nach und den geschilderten Symptomen zufolge könnte das Nervengift Sarin zum Einsatz gekommen sein, das in der Vergangenheit unter anderem vom Irak unter Saddam Hussein verwendet worden ist.

Vorwürfe über den Einsatz chemischer Kampfstoffe in Südkordofan zirkulieren seit Beginn des dortigen Konflikts zwischen Sudans Regierungsarmee SAF und Rebellen im Juni. Im August hatte die UN-Menschenrechtskommission in Genf in einem Bericht geschrieben: „Am 22. Juni 2011 erhielt die Menschenrechtsabteilung der UNMIS (UN-Mission im Sudan) unbestätigte Berichte über den Einsatz chemischer Waffen durch die SAF gegen Zivilisten am 12. Juni in Julud, Shivi und Salara, nach Luftangriffen auf die Stadt und Berge, wo Zivilisten Zuflucht gesucht haben sollen.“ UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay forderte daraufhin eine „unabhängige, umfassende und objektive Untersuchung“.

Die scheitert bisher daran, dass UN-Mitarbeiter keinen Zugang zum Kampfgebiet haben. Ein UNMIS-Team, das Kriegsverbrechen in Südkordofan untersuchen sollte, erhielt nach taz-Informationen keine Genehmigung zur Einreise in die Provinz. Es wurden bislang auch keine Proben verdächtiger Materialien aus dem Kriegsgebiet herausgeschafft, um sie von neutraler Seite analysieren zu können.

Vorwürfe des Einsatzes von Chemiewaffwen durch Sudans Streitkräfte gab es bereits mehrfach. In den 1990er Jahren wurde von US-Gruppen berichtet, Iraks damaliger Diktator Saddam Hussein habe nach 1991 seine Chemiewaffenbestände unter anderem in den Sudan geschafft und dort sogar Chemiewaffenfabriken errichtet, zum Beispiel eine für Senfgas in der südwestlichen Stadt Wau. Dieses sei ab 1995 mehrfach im Kampf gegen die heute im Südsudan regierende damalige Guerilla SPLA (Sudanesische Volksbefreiungsarmee) zum Einsatz gekommen. Im Jahr 2004 gab es ähnliche Berichte aus Darfur, diesmal mit Bezug auf Syrien als Herkunftsland. 1998 hatte die US-Regierung nach den blutigen Anschlägen auf US-Botschaften in Kenia und Tansania eine mutmaßliche Chemiewaffenfabrik nahe Khartoum bombardiert, die sich allerdings hinterher als Medikamentenfabrik entpuppte.

Nicht nur in Südkordofan sollen chemische Kampfstoffe zum Einsatz gekommen sein, sondern auch in der ebenfalls umkämpften Provinz Blue Nile. Am 19. September meldete Sudans amtliche Nachrichtenagentur Suna unter Berufung auf Sudans Armeesprecher al-Sawarmi Khalid Saad, die Armee habe im Großteil von Blue Nile die Kontrolle zurückgewonnen, und Vorwürfe wegen des Einsatzes chemischer Waffen bei der Rückeroberung seien „grundlos“, da dies „mit der sudanesischen Moral unvereinbar“ sei. DOMINIC JOHNSON