: Schauen Sie mal böse!
Mit der Darstellung des angeblichen Massenmörders Bruno Lüdke begründete Mario Adorf seinen Ruhm. Vor fünfzig Jahren hatte „Nachts, wenn der Teufel kam“ Premiere
VON AXEL DOSSMANN UND SUSANNE REGENER
Bereits im Vorspann des Films „Nachts, wenn der Teufel kam“ wird der Anspruch auf historische Wahrheit reklamiert: „Nach dem gleichnamigen Tatsachenbericht in der Münchner Illustrierten von Will Berthold“, heißt es da. Die Geschichte: Im Sommer 1944, mitten im Krieg, kommt ein Kriminalkommissar einem geistesgestörten Massenmörder auf die Spur. Die SS sieht hier eine Chance, mit diesem möglicherweise achtzigfachen Mörder die Tötung an geistes- und erbkranken Verbrechern offiziell zu legitimieren.
Doch Hitler persönlich verlangt schließlich den Abbruch des Unternehmens. Dass ein geistig gestörter „Arier“ jahrelang im Dritten Reich morden konnte, sollte nicht öffentlich werden. Der empörte Kriminalkommissar will dann wenigstens einen unschuldig des Mordes angeklagten Nazichargen retten. Aber der wird „auf der Flucht erschossen“, der Kommissar von der SS zur „Bewährung“ an die Ostfront geschickt. Ein Schriftstück offenbart die Tötung des Massenmörders, Bruno Lüdke, auf Geheiß des Reichssicherheitshauptamtes. Die Akte wird geschlossen, auf dem Deckel sieht man den Stempel „Erledigt“.
Premiere hatte „Nachts, wenn der Teufel kam“ am 19. September 1957. Von der Mehrheit der deutschen Filmkritiker wurde der Film von Robert Siodmak als Geschichte über einen authentischen Fall wahrgenommen. Von einem „Bericht ohne Schminke und Lenkung“ war die Rede, eine „Mischung aus Kriminalreißer und Zeitdokument“. Eine „glasharte klinische Analyse des Naziregimes“ soll der Film sein, ja ein „mutiger Beitrag zur Auseinandersetzung mit der finstersten Periode deutscher Geschichte“.
Einhellige Begeisterung fand die Darstellung des geisteskranken Massenmörders durch Mario Adorf. Mit der Rolle des verschlagenen Triebtäters Bruno Lüdke begründete der damals 27-Jährige, der später noch oft den Bösewicht gespielt hat, seine Karriere als Filmschauspieler. Mit Stolz erinnert sich Adorf, wie er in Vorbereitung auf seine Rolle die Verhörprotokolle der Kriminalpolizei gelesen habe. Auf seine Initiative hin wurden Szenen am Set verändert. Tonbänder mit der Originalstimme Bruno Lüdkes sollen Adorf für seine Darstellung inspiriert haben.
Mit Erfolg. „Nachts, wenn der Teufel kam“ wurde als „bester ausländischer Film“ für einen Oscar nominiert, und im Juni 1958 erhielt er den Bundesfilmpreis und das Prädikat „Spielfilm mit besonders staatspolitischem Gehalt“. Karl Korn, Mitglied der Jury und FAZ-Feuilletonchef (der 1940 noch den NS-Propagandafilm „Jud Süß“ gelobt hatte), würdigte den Film neben seinen ästhetischen Qualitäten für die „tendenzfreie Bewältigung der nationalsozialistischen Jahre“. Der Preis war eben auch volkspädagogische und außenpolitische Botschaft, verbunden mit der Hoffnung auf mehr internationale Akzeptanz, wenn man sich mit dem „berechtigten moralischen Pathos dieser Welt“ solidarisiert, wie Karl Korn an anderer Stelle mitteilte.
Das wirft Fragen auf: In welchen Kontexten wurde der historische Stoff für den Film entwickelt? Und wie musste das Geschichtsbild eines Spielfilms über die NS-Zeit beschaffen sein, damit er 1958 den Bundesfilmpreis erhielt? Vor allem: Welche Vorstellung vom Bösen entwarf der Regisseur Siodmak mit seinem Team, die heute noch wirkt? Inzwischen als DVD erschienen, wird die „Studie über den deutschen Faschismus“ jetzt vor allem als früher Serienkillerfilm wahrgenommen.
Den historischen Stoff für den Film hatte der Journalist Will Berthold 1956 in fünfzehn Folgen in der Münchner Illustrierten veröffentlicht: „Geheime Reichssache Bruno Lüdke – dahinter verbirgt sich der größte Massenmord der Kriminalgeschichte, geschehen in Deutschland, in den Jahren 1924 bis 1943“, lauteten die Schlagzeilen. Für seinen angeblichen Tatsachenbericht erfand Berthold trotz Kenntnis der Verhörprotokolle viele Dokumente und Argumente neu, schloss dabei aber jeden Zweifel an der Hauptthese der Kriminalpolizei im Dritten Reich aus. Auch für Berthold ist Bruno Lüdke nicht der vielleicht bequeme Lückenbüßer für eine Vielzahl von ungeklärten Mordfällen. Sondern ein Massenmörder.
Wichtige Stichworte für Bertholds Dokufiktion lieferte ein Artikel im Spiegel vom März 1950. Autor war Bernd Wehner, vormals Leiter der Zentrale zur Bekämpfung von Kapitalverbrechen im Reichskriminalpolizeiamt, der versuchte, sich und seine alten Kameraden wieder zurück in den Polizeidienst zu argumentieren. Sein Bericht über die damalige Sensation Bruno Lüdke war gespickt mit vulgär-rassebiologischen Stereotyopen: von einem „etwas zurückgebliebenen Neandertaler“ war zu lesen, einem „riesenhaften Gorilla“ mit einem „breiten slawischen Gesicht“.
Will Berthold schmückte diese Bilder vom geisteskranken Verbrecher weiter aus. Er lässt „das gutmütige Gesicht des doofen Bruno“ zu einer „listigen Grimasse“ verziehen, in der Summe ist ihm Lüdke eine „Bestie in Menschengestalt“, die sich in den Verhören mit „teuflischer Genauigkeit“ an über fünfzig brutale Morde zu erinnern wusste. Fotos von den Verhören und vor allem den Tatortrekonstruktionen mit Lüdke fungierten als visuelle Beweise für seine Argumentation.
Dem Regisseur Robert Siodmak, der nach der Machtergreifung Hitlers Deutschland verlassen hatte und in Hollywood für einige Klassiker des Film noir wie „Die Wendeltreppe“ verantwortlich zeichnete, ging es allerdings um mehr als das schockierende Porträt eines Mörders. Der Triebtäter war ihm willkommenes Mittel zum Zweck. Eine „Parabel des Dritten Reiches“ wollte er entwerfen, doch seine Analogie zwischen krankem Massenmörder und dem Massenmord durch SS und Gestapo rührte in Deutschland kaum am vergangenheitspolitischen Konsens: Die Massenmörder im Kleinen wie im Großen, das waren die Anderen, die Kranken, die Ausnahme. Sich selbst sah man nur als unwilliges und ohnmächtiges Rädchen im Getriebe der Machthaber.
Die Figur des Kommissars im Film unterstützte das etablierte Selbstbild einer vermeintlich anständig gebliebenen, unpolitischen Kriminalpolizei, die im Dritten Reich in Distanz zur Gestapo und SS geblieben sei. Allein Enno Patalas wandte sich in der Filmkritik vehement gegen das Bild, das Siodmak entwarf: „Wenn also der Film auch den Faschismus als schiere Barbarei denunziert, so liefert er doch den Normalbürgern und ‚kleinen Pg.s das Alibi der ‚sauberen Hände‘ mit.“ Unbescholten blieben so auch die inzwischen wieder mit Posten versorgten prominenten Kriminalpolizisten im Dritten Reich wie Bernd Wehner. Erst der Historiker Patrick Wagner machte in den 1990er Jahren publik, dass Kriminalisten seit 1930 radikale Methoden der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung forciert hatten, vor allem aber aktiv die eliminatorischen Ideen des kriminalbiologischen Rassismus in die Tat umsetzten. Es war die Kriminalpolizei selbst, die mehr als hunderttausend sogenannte Asoziale und Sinti und Roma in die Konzentrationslager deportierte.
Für den aus Hollywood nach Deutschland remigrierten Siodmak bot der kolportierte Stoff über die „Bestie“ lediglich geeignetes Material für seine Absicht, einen deutschen Antinazifilm zu drehen. In starken Bildern zeigt er eine Gesellschaft in Untergangsstimmung, überwiegend mit opportunistischen, zynischen, bis zur Karikatur bizarr-lächerlichen Gestalten.
„Schauen Sie mal böse!“, hatte der Regisseur den jungen Mario Adorf beim Casting aufgefordert. Was Adorf gelungen ist. Die FAZ lobte einen „Darsteller von beklemmender Echtheit, zugleich blöde und helle, dumpf und von beängstigender Gutmütigkeit“. Die Kritiker sprachen vom „triebgejagten Klumpen“, sie sahen den „Menschenbullen, dem die Leiden der gehetzten Kreatur“ widerfahren. Stilmittel des Film noir wie Schattenspiele und starke Hell-dunkel-Kontraste unterstützen diese visuelle Stereotypisierung.
Mit dieser Performance trafen Siodmak und Adorf bis heute aktuelle Vorstellungen von einem teuflischen Triebtäter: primitiv und zugleich verschlagen, brutal und skrupellos, maskiert. Ein psychologisches Rätsel, in welchem das im Massenmörder personifizierte Böse attraktiv bleibt, denn es individualisiert Verbrechen und Gewalt und lenkt die Aufmerksamkeit auf Außenseiter der Gesellschaft. Serienkiller wie Ed Gein und Ted Bundy wurden in den USA zu Ikonen. Es gibt sogar Massenmördermerchandise.
Im Genre des True Crime hat auch in Deutschland das mediale Interesse an den Mustern pervertierter Lust und der Aufführung des Tötens in der Populärkultur und Kunst massenhaft Resonanz gefunden. Den besonderen Thrill gibt dabei stets der Bezug auf „Tatsachen“ und „Wahrheit“. Es darf im Ungefähren bleiben. Allzu ermüdende historische Spurensuche und ob der angebliche Massenmörder Bruno Lüdke tatsächlich ein Täter war? So genau wollte man das schon 1957 doch nicht wissen.
AXEL DOSSMANN, Jahrgang 1968, ist Historiker in Berlin. Er arbeitet zurzeit an einem Hörspiel über Bruno Lüdke. SUSANNE REGENER, Jahrgang 1957, ist Professorin für Mediengeschichte an der Uni Siegen und forscht unter anderem über die visuelle Darstellung von Kriminellen und das Phänomen Serienkiller