Die Ware Witz

Humor – was ist das eigentlich? Fragen sich viele, weiß aber keiner. Trotzdem meinen manche, ihn auf Seminaren verkaufen zu können. Doch es steckt mehr hinter einer humorvollen Performance, die mit ein paar Kniffs erlernt werden könnte. Oder kann sich jemand einen zweiten Horst Schlämmer vorstellen?

VON BENJAMIN IMORT

Vor vierzehn Jahren sang Hape Kerkeling: „Witzischkeit kennt keine Grenzen.“ Doch, kennt sie. Trotzdem scheint es immer wieder Kerkeling selbst zu sein, der den Beweis antritt: Witz kennt kein Limit. Er ist selbst sein bester Indizienzuträger. Lassen sich im Witz seiner aktuell populärsten Figur, dem Journalisten Horst Schlämmer, erste Kratzer feststellen, stellt er ihm eben eine Neue an die Seite: Gisela. Brünett, rotlippig, widerspenstig. Und vor allem: gespielt von Hape Kerkeling, und deshalb: witzig. Mal wieder. Kerkeling hat es abermals geschafft. Er ist ein Held. Viele versuchen sich in der deutschen Comdey zu etablieren. Nicht vielen gelingt es, den wenigsten mit solcher Konstanz wie Kerkeling. Wie macht er das nur? Was macht ihn so gut, den Humor des Hape Kerkeling?

Eine schier unergründliche Frage, mindestens. Natürlich lassen sich Muster heranziehen für das, was als humorvoll gilt oder Gelächter stiftet. Eben bei Hape Kerkeling. Etwa nach dem Motto: Er zeigt die Menschen so, wie sie sind. Er behandelt seine Figuren derart liebevoll, dass er ihre trotteligen realen Vorbilder dennoch nicht in ihrem bizarren Eigensinn verrät. Es gelingt ihm, gleichzeitig überzogen genug zu sein, um aufzufallen, und echt genug, um nicht abzuheben. All das liefert Ansätze – auf eine einfache Formel lässt sich Kerkelings Witz trotzdem nicht herunterbrechen.

Dennoch versuchen manche, ihn und ähnlich erfolgreiche Humoristen zu dechiffrieren, um nicht zu sagen: zu entziffern wie eine technische Zeichnung. Und einmal gestartet, finden sie gleich noch viel hehrere Ziele: die Decodierung des Humors im Allgemeinen. Wer glaubt, den Code geknackt zu haben, wird entweder selbst Comedian (und dann doch nur eine unscharfe Kopie der Originale), oder versucht alternativ, sein Wissen weiterzugeben und so viele neue Witzbolde zu schaffen.

Denn Humor findet inzwischen nicht mehr nur in Medien, Alltag und Politik statt, auch bis ins Geschäftsleben sind die Gerüchte um die Vorteile einer humorvollen Betriebsatmosphäre inzwischen durchgedrungen. Die Ware Witz verkauft sich dementsprechend gut.

Schleicht der schüchterne Nadelstreifenträger im Buchladen zwischen Beziehungs- und Diätratgebern herum, wird er zügig fündig: Bücher wie „Die Humorstrategie“ von Michael Tietze und Inge Patsch oder „Anekdoten, Geschichten, Metaphern für Führungskräfte“ von Matthias Nöllke wollen die Anleitung zum Komischsein liefern.

Sitzt nach der Lektüre der Witz noch nicht locker genug, ist die nächste Stufe der Besuch von Managerseminaren. „Sicher und schlagfertig sprechen“ kann man belegen, oder auch „Kommunizieren mit Humor und Persönlichkeit“. Der Spaß wird als käuflich propagiert und hat einen stolzen Preis: Teils über eintausend Euro verlangen die Agenturen für ein paar Kurstage. Es lässt sich nur mutmaßen, wie Horst Schlämmer reagieren würde: Irgendwo zwischen „Halsabschneider, die“ und „jaja, immer auf den kleinen Mann … Manager, die ham doch sons’ nix zu lachen“ könnte sein Urteil liegen. Seine gemutmaßte Empörung ist nur zu berechtigt. Denn wie soll das bitte gehen, Humor in ein paar Seminarstunden lernen?

„Es gibt Menschen, die lernen das nie“, sagt denn auch Thomas Holtbernd. „Aus einem Ackergaul kann man kein Rennpferd machen“, bestätigt Frau B.. Doch, oha, genau das versuchen beide, sie arbeiten als Kommunikationstrainer. So schieben sie denn auch flugs eine Daseinsberechtigung für den kuriosen Berufszweig des Humortrainers nach und erklären, wie sie doch noch eine Prise Humor aus ihren Kunden herauskitzeln. Holtbernd, Autor des Buches „Führungsfaktor Humor“, sucht in seinen Seminaren zunächst mal nach der „Humorbiografie“ seiner Klienten: Über wen wird gelacht, welchen Komiker mag man nicht? Dann geht es darum, „die Stärken zu stärken“, erklärt Frau B. in allerschönstem, besser: allerblödestem Managerundeutsch.

Worum geht es hier noch mal? Unternehmensberatung? Betriebswellness? Nein? Ach so. Humor? Ah ja. Na denn: Sich treu bleiben, und schon ist man eine Spaßkanone, so einfach also?

Nicht ganz: Der vor Innovation übersprudelnde nächste Therapieschritt lautet meist schlicht: üben, üben, üben. Frau B. trägt ihren allzu verschüchterten Managern auf, doch mal ganz bewusst in zwei Gesprächen pro Woche den eigenen Witz einzusetzen. Lustig sein nach Stundenplan. Thomas Holtbernd lässt in seinen Seminaren schlechte zu guten Witzen umbauen. Und was ist ein guter Witz? „Das kommt immer auf die Situation an.“ Aha.

„Es gibt da ein paar Werkzeuge“, verrät Peter Kenzelmann verschwörerisch, Kenzelmann ist Schlagfertigkeitscoach. Werkzeuge? „‚Gefühl, Hinweis, Frage‘ zum Beispiel.“ Dabei geht es darum, den Vorwurf eines Gesprächspartners mit einem Gefühl („Das kann ein einfaches ‚Oh‘ sein“), gefolgt von einem Hinweis („Das ist ja interessant“) und schließlich einer Gegenfrage zu kontern. Kenzelmann hat noch ein paar solcher Tipps auf Lager.

Fraglich ist, wie gekünstelt die reale Situation wird, wenn nach derart festen Mustern kommuniziert wird. Aber was haben all diese Übungen bloß mit Humor zu tun? Ist ein Training in Schlagfertigkeit nicht dem Boxen oder dem simplen Verprügeln verwandter als dem gelösten Gelächter?

Kerkeling werden sie jedenfalls kaum im Kopf herumschwirren. Ob man Schlämmer nun mag oder nicht, bewundernswert ist Kerkelings Wandelbarkeit, sein Esprit, seine Spontaneität, mit der er selbst Günther Jauch in einer grandiosen „Wer wird Millionär“-Ausgabe an den Rand der Sprachlosigkeit brachte. Und gemeinhin gilt gerade Jauch als Meister der Schlagfertigkeit – ohne als vorlauter Sprachboxer, anders als der notorische Klassenclown Stefan Raab, verdächtig geworden zu sein. Es scheint so offensichtlich: Allein mit ein paar Kommunikationstipps im Schulranzen lässt sich ein solches Niveau nicht erreichen.

Wenn es denn überhaupt irgendwie möglich sein sollte, sich einen Witz künstlich anzueignen. Das jedoch wird von wissenschaftlicher Seite – ja, auch die Wissenschaft macht sich gedanklich Sorgen um Humor – in Frage gestellt. Willibald Ruch gilt als Koryphäe auf dem letztlich doch dünn besiedelten Feld der Humorforschung. Er berichtet von Zwillingsstudien, die nahe legen, dass gewisse Aspekte des Humors angeboren sind. Eine erneute genaue Untersuchung über die Erlernbarkeit des Humors laufe noch. Auf die, nun ja, genauen Ergebnisse darf man gespannt sein.

Lässt man bloß mal den Anspruch beiseite, gleich die ganze Persönlichkeit auf den Fixpunkt „Humor“ zu justieren: Es muss doch wenigstens funktionieren, vom schlechten zum guten Witzeerzähler zu werden. Und auf den ersten Blick scheint Besserung auch wirklich möglich. Denn selbst die Witze, die Kerkeling in seinem neuen Song „Gisela“ reißt, funktionieren bei genauem Hinsehen nach einem einfachen Muster. Sie lassen sich mit dem recht sperrigen und gar nicht komischen Wort „Inkongruenztheorie“ erklären. Zum Beispiel diese Textzeile Schlämmers: „Sind die Zähne erst mal raus, hat die Zunge freies Spiel“, schmachtet er Gisela an. Nach der Inkongruenztheorie ist entscheidend, dass hier die beiden Skripte „Gesundheit“ (die Zahnprobleme) und „Sex“ (wo man das freie Zungenspiel verorten könnte) aufeinandertreffen.

Diesen Widerspruch muss der Zuhörer im Kopf lösen – und, schwupps, schon ziehen sich die Mundwinkel nach oben. Die Theorie stammt aus der Linguistik, besonders in den USA der bestimmende Zweig der Humorforschung. Sie mag einleuchten. Und auch Manuel Butt bestätigt sie. Butt ist professioneller Gagautor, hat zum Beispiel Stefan Raab bei „TV Total“ fünf Jahre lang die Witze in den Mund gelegt. „Man muss beim Zuschauer eine Erwartungshaltung aufbauen, und die dann brechen“, erklärt Butt. So hat er es teilweise auf fünfzig bis sechzig der typischen Late-Night-Sprüche am Tag gebracht. Witzeproduktion am Fließband, ermöglicht durch den menschlichen Reflex, auf einen aufgelösten Widerspruch mit einem Lacher zu reagieren.

Wenn es mal so einfach wäre. Doch man stelle sich den Schlämmer-Gag vor, nicht durch die Doornkaat-durchnässte Oberlippenbehaarung des Originals gebrummelt, sondern fein säuberlich an den Mann (oder die Frau) gebracht von einem x-beliebigen Partyclown. Man stelle sich den scheuen Arbeitsgruppenleiter vor, wie er nach Schema F versucht, für Lacher unter den Kollegen zu sorgen. Ein Witz, so ein Witz. Widerspruch, Auflösung, Lacher, so einfach ist es nicht.

Trostlos, aber wahr: Das ist nur ein weiterer, in gewisser Weise geschäftsschädigender Dämpfer für die Fraktion, die den Humor vielleicht fühlt, aber vor allem verkaufen möchte: dass jede Theorie nur so gut ist wie diejenigen, die sie in der Praxis umsetzen. Und selbst ein an sich schlechter Spruch, siehe Schlämmer, kann durch den guten Komiker an Kraft gewinnen. Die Eigenschaft „Humor“ scheint tief verwurzelt zu sein in unserer Persönlichkeit. Humorforscher Ruch beschäftigt sich wie erwähnt seit Jahrzehnten mit dem Phänomen: Man möchte ihm Glück wünschen, dass er eines Tages Erhellendes herausgefunden haben wird.

Ruch jedenfalls bewogen, sich diesem Feld zu widmen, hat einst die Beobachtung, dass der Humor viel über einen Menschen aussage. Sag mir, worüber du lachst, und ich sag dir, wer du bist. Doch Letzteres wird zum Beispiel bei Gudula Steiner-Junker kaum möglich sein. Denn sie lacht nicht über etwas, sie lacht einfach. Steiner-Junker hat in Wiesbaden 1998 Europas ersten Lachclub gegründet. Einmal in der Woche trifft sich der Club. „Dann gehen wir runter zum Rhein, atmen einmal tief durch und lachen.“

Es kann doch so einfach sein, will sie uns sagen. Da gibt es Menschen, die folgen keiner Theorie, die brauchen auch keine große Anleitung, keinen guten Witz, auch keinen Horst Schlämmer. Die lachen einfach. Vielleicht wäre es eine guter erster, möglicherweise zaghafter Schritt für jene, die wöchentlich viel Geld bei Humorseminaren lassen, mal bei Steiner-Junker vorbeizuschauen. Bei ihr ist das Lachen noch kein Geschäft – sondern laut und sinnlos.

BENJAMIN IMORT, Jahrgang 1982, kann selbst ganz schlecht Witze erzählen. KollegInnen und FreundInnen halten ihn streckenweise für so wach wie witzig