: Neue Quellen
Justine Henin gewinnt ihren siebten Grand-Slam-Titel und mit ihrem Lächeln endlich die Herzen der Fans
NEW YORK taz ■ Diese riesengroße Stadt ist ihr nie ganz geheuer gewesen: zu laut und zu hektisch, zu grell und zu verrückt. „Hier ist alles eine große Show“, sagt Justine Henin, „das passt nicht zu meiner Persönlichkeit“. Aber als sie ungefähr anderthalb Stunden nach ihrem Sieg im Finale der US Open gegen Swetlana Kusnezowa (6:1, 6:3) über ihre Freude und den Stolz auf ihre Leistung sprach, da war klar, dass auch die Stadt gewonnen hatte. Mit verträumtem Blick betrachtete sie den Pokal und meinte: „Heute liebe ich New York.“
Dieser Titel, der siebte Grand-Slam-Titel ihrer Karriere, bedeutet ihr vor allem deshalb so viel, weil sie ihn eben nicht in ihrem Garten Roland Garros gewonnen hat, sondern sozusagen in einem fremden Land, im Land der berühmten Schwestern. Auf dem Weg zum Titel besiegte sie nacheinander Serena und Venus Williams. Sie glaubt, das hätten ihr sicher nicht allzu viele zugetraut.
Dass nun das Endspiel keinen Vergleich mit dem feurigen Halbfinale gegen Venus Williams aushalten würde, war allen klar. Für Justine Henin ging es darum, nicht in dieselbe Falle wie in Wimbledon zu treten. Damals hatte sie nach dem emotionalen Sieg gegen Serena später im Halbfinale überraschend gegen die Französin Marion Bartoli verloren. Und so wusste sie diesmal genau, dass der schwierigste Part darin bestehen würde, die Spannung zu halten, sich nicht zurückzulehnen und auch im letzten Spiel in jedem Moment auf der Hut zu sein. Sie tat es, anders als Swetlana Kusnezowa, die am Abend des Finales eher bescheiden in Form war. Nie zuvor sah man Henin so oft lachen und lächeln, nie zuvor spielte sie mit solch offensichtlicher Freude. Sie habe sich vielen Menschen genähert, sagt sie, auch ihren Fans. „Die Leute können jetzt viel leichter zu mir kommen. Ich denke, ich wirke offener. Ich sehe jetzt aus wie ich selbst.“ Nach der Trennung von ihrem Mann Pierre-Yves Hardenne zu Beginn des Jahres und der Wiedervereinigung mit dem acht Jahre aus ihrem Leben verbannten Vater und den Geschwistern geht es ihr inzwischen so gut wie lange nicht mehr. Sie sagt, sie habe neue Quellen gefunden. Der Fels in der Brandung in diesen turbulenten Zeiten war Carlos Rodriguez, jener Mann, der nicht nur seit elf Jahren ihr Coach ist, sondern auch wichtigster Mentor und Freund. Er hatte ihr geraten, den Leuten endlich zu zeigen, wer und wie sie sei. Es sei ein ständiger Kampf gewesen, sagt sie. „Nur Carlos und ich wissen, wie schwer es war.“ Deshalb kletterte sie nach dem letzten Ball des Finales zu Rodriguez auf die Tribüne, und in der Umarmung lag auch die Botschaft: Wir zwei sind ein verdammt gutes Team.
Im Moment gibt es kein besseres. Von vier Grand-Slam-Titeln in diesem Jahr hat sie zwei gewonnen – in Paris und New York –, sie ist mit deutlichem Abstand die Nummer eins, und ihr Spiel ist eine Attraktion: eine Kombination feinster Technik mit Athletik, Fitness und Angriffslust. Und neuerdings mit sichtbarem Spaß an der Freud’. Sieht so aus, als hätte Justine Henin im turbulentesten Jahr ihres Lebens nicht nur einen Bindestrich und Herrn Hardenne fallen lassen, sondern auch jede Menge Ballast.
DORIS HENKEL