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Archiv-Artikel

Naturschutzturm Berliner Nordrand

Das Umweltprojekt hat die alte Grenze zwischen Ost und West geschlossen – mit Bäumen

Naturschutzturm

■ Der Naturschutzturm im Berliner Norden ist ein Projekt der Deutschen Waldschutzjugend.

■ Neben Projekttagen für Schulklassen und Führungen durch die Natur wird hier auch ein Einblick in die die Geschichte der Berliner Mauer geboten.

■ Aktuell: Treffpunkt für Junge Imker bei der Deutschen Waldjugend , immer freitags von 15 bis 17 Uhr.

■ Im Netz: naturschutzturm.de

Joachim Mehr wollte einfach nur raus. Gemeinsam mit seinem Freund Hans-Jürgen K. versuchte der 19-jährige Berliner in der Nacht zum 3. Dezember 1964 aus der DDR zu fliehen. Die Flucht endete in einer Tragödie. Als die beiden Jugendliche versuchten, die innerdeutsche Grenze in der Nähe von Hohen Neuendorf zu überqueren, wurde Mehr von einem DDR-Grenzsoldaten erschossen. Sein Freund K. wurde ebenfalls angeschossen. Er überlebte schwer verletzt.

Heute erinnert eine Informationstafel im Wald an das tragische Schicksal Joachim Mehrs. Aufgestellt hat sie der Verein „Naturschutzturm Berliner Nordrand“, der sich seit 2009 um das Gedenken an die Grenzopfer im Norden Berlins kümmert. Neben Joachim Mehr wurden drei weitere junge Menschen bei dem Versuch, die Grenze zwischen Frohnau und Bergfelde zu überqueren, von ostdeutschen Grenzern erschossen. Für sie hat der Verein ebenfalls Gedenktafeln errichtet. Die Tafel von Mehr ist übrigens an einem Pfosten des ehemaligen Grenzzauns in unmittelbarer Nähe zum Tatort angebracht.

Die Erinnerungsarbeit ist es, die den Naturschutzturm von anderen Berliner Naturschutzvereinen unterscheidet. Das geschichtliche Engagement wird vom Ort bestimmt. Der Sitz des Vereins befindet sich in einem ehemaligen Grenzwachturm. Von den 302 Grenztürmen, die einst die Grenze rund um Berlin (West) sicherten, stehen heute nur noch vier an ihrem Originalstandort. Einer von ihnen ist der Naturschutzturm. „Da lag es nahe, sich auch um die Geschichte zu kümmern“, erklärt Marian Przybilla von der Deutschen Waldjugend. Schon im Juni 1990, also noch vor der deutschen Einheit, übernahm die Naturschutzorganisation gemeinsam mit der DDR-Umweltgruppe „Ökokellerkinder“ der Naturschützerin Helga Garduhn den Wachturm.

Neben den Gedenktafeln für die Mauertoten richtete die Gruppe anlässlich des 20. Jahrestages des Mauerfalls eine Gedenknische auf ihrem Gelände ein, in der sie originale Mauerstücke und Zaunteile, eine „Stalinrasen“ genannte Stahlnagelmatte und weitere Gegenstände aus der Zeit einbaute.

Die Gedenkarbeit ist aber nur ein Aufgabenbereich des Vereins. Schließlich handelt es sich bei dem Turm in erster Linie um ein Umweltprojekt. Die Gruppe übernimmt verschiedene Aufgaben im Wald um den Turm. Sie kümmert sich um Fledermaus- und Vogelkästen und hilft bei Durchforstungen. Um die Schneise, welche die NVA für ihre Grenzanlage in den Wald schlug, wieder zu schließen, pflanzte die Gruppe seit 1990 gemeinsam mit SchülerInnen aus Berlin und Brandenburg insgesamt 80.000 Bäume. „Damit setzten die jungen Leute um, was Willy Brandt am 10. November 1989 vor dem Brandenburger Tor sagte: Nun muss zusammenwachsen, was zusammengehört“, erklärt der Naturschützer.

Den maroden Wachturm rüsteten Przybilla und Garduhn mit zahlreichen HelferInnen und UnterstützerInnen eigens für diese Arbeit um. So beherbergt das Bauwerk den Gruppenraum, Arbeitsmöglichkeiten und eine Schlafgelegenheit. Die nötige Infrastruktur bieten eine Solaranlage auf dem Dach, eine Ofenheizung, eine Kompost-Toilette, eine Schilfkläranlage und ein Brunnen. Die Fläche um den Turm wurde für die ökologische Arbeit des Vereins hergerichtet. Auf der insgesamt 4.000 Quadratmeter umfassenden Freifläche wurden ein Sumpfpflanzenbeet mit einem kleinen Teich, eine Regenwurmkiste und eine Wildbienenwand angelegt. Das Biotop wird häufig von Schulklassen besucht. „Die Umgebung um den Turm ist zu einem Klassenzimmer im Grünen geworden“, berichtet Przybilla.

Der Naturschutzturm ist aber nicht nur ein bedeutender Dreh- und Angelpunkt für den Schutz des Waldes und der ökologischen Bildung für Schulklassen, sondern auch für die umweltpolitische Arbeit der Region. So mischte sich der Verein immer wieder in die Umweltpolitik des Landkreises Oberhavel, der Stadt Hohen Neuendorf, aber auch in Berlin ein. Unter anderem engagierte sich der Verein in der Vergangenheit gegen die großflächige Rohdung der regionalen Wälder für die Errichtung von Solaranlagen, gegen Autobahnrastanlagen und gegen die geplanten Anflugrouten. Hierbei arbeitete der Verein mit lokalen Bürgerinitiativen zusammen. „Wir bemühen uns, den Schutz der Umwelt zu sichern“, sagt Przybilla.

Der Verein kann auf verschiedenste Weise unterstützt werden. Przybilla, Garduhn und ihre MitstreiterInnen freuen sich über Unterstützung bei den Naturschutzaufgaben und der Betreibung des Turms sowie der Freifläche. Der Verein sucht auch immer nach HelferInnen, die ihm bei besonderen Veranstaltungen zur Hand gehen. Vor kurzem war der Naturschutzturm ein Verpflegungspunkt bei einem 160-Kilometer-Lauf auf dem Berliner Mauerweg und er ist auch eine Station für Fahrradtouren und Wandergruppen. Hochzeitspaare können gegen Spende einen Baum im Hochzeitsbaumwäldchen pflanzen.

LUKAS DUBRO