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Archiv-Artikel

„Die jungen Leute stecken das Geld gerne ein“

Geld fürs Wegziehen ist eine staatlich subventionierte Diskriminierung immobiler Menschen, sagt der Stadtökonom Guido Spars. Außerdem habe der Staat die Pflicht zur Daseinsvorsorge auch in dünn besiedelten Regionen

taz: Herr Spars, was halten Sie von dem Vorschlag, Menschen mit Prämien aus dünn besiedelten Gebieten in Brandenburg wegzulocken?

Guido Spars: Die Situation in Brandenburg ist teilweise extrem. Deshalb ist es wichtig, dass es keine Denkverbote gibt. Aus ökonomischer Perspektive macht es durchaus Sinn, über solche Vorschläge nachzudenken. Nur darf man nicht vergessen, dass es gewisse Probleme bei der Umsetzung gibt: Wer bekommt die Prämie? Welche Gebiete sind tatsächlich betroffen? Es ist ein Unterschied, ob es in Brandenburg um drei, vier Orte geht oder 50 Prozent der Fläche.

Die Menschen sollen weg, damit Geld gespart werden kann. Ist das nicht zynisch?

Man darf die Problemlage in Brandenburg nicht schönreden. In dem Land gibt es Orte, die einfach keine Zukunft haben, weil ohnehin schon wahnsinnig viele Leute von dort wegziehen. In der Regel bleiben diejenigen zurück, die auch woanders wenig Chancen haben. Manche Menschen sind mobil, und andere sind es eben nicht. Ein Prämiensystem, das Geld fürs Wegziehen anbietet, ist insofern eine staatlich subventionierte Diskriminierung immobiler Menschen.

Inwiefern?

Die jungen Leute stecken das Geld gerne ein, den alten oder schlecht ausgebildeten Menschen bringt es aber nichts. Außerdem gilt ja überall das Grundgesetz: Danach muss sich der Staat um die Daseinsfürsorge kümmern, egal wie viele Menschen in einem Landstrich leben.

Kann die Infrastruktur nicht erhalten werden – etwa durch Angebote wie den Bürgerbus, der auf Bestellung fährt?

Im Prinzip braucht man eine intelligente, mobile Infrastruktur, um in diesen dünn besiedelten Gebieten alle zu versorgen. Dafür gibt es ja schon viele Ideen, wie den reisenden Arzt oder die mobile Bibliothek. Ich denke daher, das Prämiensystem ist kein Königsweg für die Probleme in Brandenburg.

Wie reagiert die Politik auf das Problem?

Dass sich jetzt empört über „zynistische Vorschläge“ geäußert wird, ist eine ganz normale politische Reaktion. Politiker sind nun mal nicht die besten Verkünder schlechter Botschaften. Ich weiß nicht, ob jeder Politiker die Problematik wirklich im Blick hat. Die Landespolitiker beschäftigen sich natürlich lieber mit den Wachstumskernen und den guten Beispielen im Land als mit den schwierigen Regionen am äußeren Entwicklungsrand.

Was für Konzepte gegen Abwanderung gibt es?

Relativ bald nach der Wende gab es ja das Konzept der dezentralen Konzentration, mit dem Orte am Brandenburger Rand bewusst gefördert wurden. Dieses Konzept ist gescheitert: Die meisten Unternehmen haben sich eben doch im Speckgürtel um Berlin niedergelassen. Heute konzentriert man sich bei der Wirtschaftsförderung eher auf Wachstumsgebiete. Aber man muss gut trennen zwischen Strategien der Wirtschaftsförderung und der Daseinsfürsorge. Bei der geht es nämlich um Bildung, Gesundheit, Soziales und Kultur. Und da hat der Staat gemäß Grundgesetz für gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Landesteilen zu sorgen. INTERVIEW: LANA STILLE